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Title: Der Sturm [The Tempest]. Ein Schauspiel von Shakspear, für das Theater bearbeitet.
Author: Shakespeare, William (1564-1616)
Translator: Tieck, Johann Ludwig (1773-1853)
Author of preface: Tieck, Johann Ludwig (1773-1853)
Date of first publication: 1796
Place and date of edition used as base for this ebook: Berlin and Leipzig: Carl August Nicolai, 1796 (first edition)
Date first posted: 21 January 2009
Date last updated: 21 January 2009
Project Gutenberg Canada ebook #241

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Titre: Der Sturm [The Tempest (La Tempête)] Ein Schauspiel von Shakspear, für das Theater bearbeitet.
Auteur: Shakespeare, William (1564-1616)
Traducteur: Tieck, Johann Ludwig (1773-1853)
Préfacier: Tieck, Johann Ludwig (1773-1853)
Date de la première publication: 1796
Lieu et date de l'édition utilisée comme modèle pour ce livre électronique: Berlin et Leipzig: Carl August Nicolai, 1796 (première édition)
Date de la première publication sur Project Gutenberg Canada: 21 janvier 2009
Date de la dernière mise à jour: 21 janvier 2009
Livre électronique de Project Gutenberg Canada no 241

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Der Sturm.

Ein Schauspiel von Shakspear,

für das Theater bearbeitet

von

Ludwig Tieck.





Nebst einer Abhandlung über Shakspears Behandlung des Wunderbaren.
Berlin und Leipzig,
bey Carl August Nicolai
1796.



Vorrede.

Jedem Leser ist gewiß dies Stück bekannt, dessen viele und große Schönheiten mich zu dem Versuch bewogen, es für's Theater zu bearbeiten. Es ist vielleicht nur eine Art von Eigensinn und Verwöhnung, daß wir Shakspear nicht in seiner ursprünglichen Gestalt auf unsern Theatern dulden wollen. Wir haben uns an die sogenannten Umarbeitungen seiner Kunstwerke gewöhnt, in welchen seine üppigen Auswüchse, so wie die faden Stellen, weggeschnitten sind, in welchen alles, was bei ihm zerstreuet und umherschweifend scheint, auf Einen Punkt concentrirt wird, um den Effekt zu erhöhen; ob aber nicht diese Bearbeitungen dem großen Dichter viele seiner Schönheiten genommen haben, ob sie nicht durch den Schein von Ordnung, der in ihnen herrscht, die große weite Aussicht verengt haben, bleibt noch sehr unentschieden; ich will hier darüber nicht weitläuftiger seyn, weil ich den Vorsatz habe, unter den angekündigten Aufsätzen einen besondern über die Umarbeiter Shakspears zu schreiben.

Es schien mir bei dieser Umarbeitung die erste und heiligste Pflicht, dem Dichter keine seiner Schönheiten zu rauben, daher habe ich fast alles so gelassen, wie ich es fand, und meine beträchtlichsten Aenderungen sind nur Abkürzungen einiger Stellen. Ich gebe zu, daß diese Arbeit beim Sturm ungleich leichter war, wie bei den meisten übrigen Stücken des Dichters, denn selbst dem flüchtigsten Leser drängt sich im Sturm die Ordnung und Planmäßigkeit auf; er kann nie den Faden verliehren, er wird durch keine Episoden gestört, alles winkt unmittelbar nach Einem Punkt hin; ich habe daher auch auf Drydens Umarbeitung des Sturms gar keine Rücksicht genommen, der den Dichter und seinen Endzweck unmöglich verstanden haben kann, weil er sonst nicht leicht eine so verworrene, unverständliche und langweilige Composition hätte liefern können.

Die Musik war in diesem wunderbaren Schauspiel unentbehrlich, um die Täuschung zu unterstützen, nur wäre die ganze Wirkung ohne Zweifel verlohren gegangen, wenn man aus diesem Stücke eine eigentliche Oper hätte machen wollen; ich sprach vieles über diesen Gegenstand mit meinem Freunde, dem Musikdirector Wessely, und er war hierin völlig meiner Meynung. Er hat daher alle Lieder nicht als Arien componirt, sondern in einer andern, einfachen Manier, die gewiß unmittelbarer auf die Seele wirkt; weil Musik das Schauspiel heben muste, habe ich zu gleicher Zeit die Geisterchöre und einige andre Gesänge eingeflochten, wo Shakspear die Musik nur andeutet. Statt der Maske im vierten Aufzuge, die vielleicht überdies nicht von Shakspear ist, habe ich ein anderes kleines Geisterschauspiel eingeführt; wegen diesen und andern Abänderungen bitte ich um die Nachsicht des Lesers.

Sollte dies Stück auf dem Theater gefallen, so würde ebenfalls der Sommernachtstraum bald erscheinen, zu welchem die Composition gleichfalls vom Musikdirector Wessely ist. —

Ich habe einigemahl die redenden Personen anders abgetheilt, auch kleine Abänderungen, z. B. in der ersten Scene gemacht, die mir der Zusammenhang zu rechtfertigen schien.

Auch in Ansehung der Abhandlung bitte ich um nachsichtige Beurtheiler; manche Ideen scheinen leicht etwas dunkel und unbestimmt, die im Zusammenhange mit den übrigen angekündigten Aufsätzen sich deutlicher entwickeln.


Ueber Shakspeare's Behandlung des Wunderbaren.

[1]

Man hat oft Shakspeare's Genie bewundert, das in so vielen seiner Kunstwerke die gewöhnliche Bahn verläßt, und neue Pfade sucht; bald Leidenschaften bis in ihre feinsten Schattierungen, bald bis zu ihren entferntesten Gränzen verfolgt; bald den Zuschauer in die Geheimnisse der Nacht einweiht, und ihn in einen Kreis von Hexen und Gespenstern versetzt; ihn dann wieder mit Feen und Geistern umgiebt, die jenen fürchterlichen Erscheinungen völlig unähnlich sind. Man hat zu oft über die Kühnheit, mit der Shakspeare die gewöhnlichen Regeln des Drama verletzt, die ungleich größere Kunst übersehen, mit der er den Mangel der Regel unbemerkbar macht; denn eben darin besteht der Probierstein des ächten Genie's, daß es für jede verwegene Fiction, für jede ungewöhnliche Vorstellungsart, schon im voraus die Täuschung des Zuschauers zu gewinnen weiß; daß der Dichter nicht unsre Gutmüthigkeit in Anspruch nimmt, sondern die Phantasie, selbst wider unsern Willen, so spannt, daß wir die Regeln der Aesthetik, mit allen Begriffen unsers aufge [2] klärteren Jahrhunderts vergessen, und uns ganz dem schönen Wahnsinn des Dichters überlassen; daß sich die Seele, nach dem Rausch, willig der Bezauberung von neuem hingiebt, und die spielende Phantasie durch keine plötzliche und widrige Ueberraschung aus ihren Träumen geweckt wird.

In dieser größten unter den dramatischen Vollkommenheiten, wird Shakspeare vielleicht stets unnachahmlich bleiben; — diese große Alchymie, durch die alles, was er berührte, in Gold verwandelt ward, scheint mit ihm verloren. Denn so sehr seine Meisterstücke auch von seinen Zeitgenossen und späteren Dichtern, von Engländern und Deutschen nachgeahmt sind, so hat sich doch keiner nach ihm in jenen magischen Kreis gewagt, in welchem er so groß und furchtbar erscheint. Die wenigen, die es versucht haben, ihn hierin zu erreichen, stehen gegen ihn wie Beschwörer da, denen, Trotz ihren geheimnißvollen Formeln, Trotz allen ihren Cirkeln und ihrem Zauber-Apparatus, kein Geist gehorcht; und die am Ende nur Langeweile erregen, weil sie die Kunst nicht besitzen, den richtenden Verstand einzuschläfern.

Shakspeare war in seinem Zeitalter mehr als jeder andere Schriftsteller, der Dichter seiner Nation; er schrieb nicht für den Pöbel, aber für sein Volk; und die dramatischen Meisterstücke der Alten, selbst wenn er sie gekannt hätte, waren daher nicht das Tribunal, vor dem er seine Schauspiele zog, sondern durch ein aufmerksames Studium des Menschen hatte er gelernt, was auf die Gemüther wirkt, und nach seinem eigenen Gefühl, und den Regeln, die er aus der Erfahrung abstrahiert hatte, dichtete er seine Kunstwerke. Eben daher kommt es, daß die meisten seiner Stücke bei der Vorstellung und beim[3] Lesen so allgemein wirken, und nothwendig wirken müssen; denn vielleicht hat kein Dichter in seinen Kunstwerken so sehr den theatralischen Effekt berechnet, als Shakspeare, ohne doch leere Theaterkoups zum Besten zu geben, oder durch armselige Ueberraschungen zu unterhalten. Er hält die Aufmerksamkeit, ohne die Kunstgriffe mancher intriguanten Dichter, und ohne den Beistand der Neugier, bis zum Schluß in Spannung, und erschüttert durch kühne Schläge seines Genie's innig, und bis zum Erschrecken.

Seine wunderbare Welt besteht daher nicht aus den Römischen oder Griechischen Gottheiten, oder aus unwirksamen allegorischen Wesen, die man vor ihm, und selbst noch zu seiner Zeit, häufig auf dem Theater sah, obgleich die Zuschauer durch diese an die übernatürlichen Wesen gewissermaßen gewöhnt waren; — sondern als Volksdichter ließ er sich zu der Tradition seines Volkes hinab.

Da die Phantasie des gemeinen Volks den Aberglauben erschafft und ausschmückt, so ist es natürlich, daß in den Produkten der erhitzten und geängstigten Einbildungskraft immer eben so viel Kindisches als Schreckliches liegt, eben so viel widrige und abgeschmackte Züge, als schöne und fürchterliche. Hätte Shakspeare ohne Unterschied diese Vorstellungsarten des Volks adoptirt, so hätte er freilich wohl auf den Beifall des Pöbels rechnen können, aber jeder Leser von einigem Geschmack und geläuterter Phantasie hätte dann auch unwillig die Mißgeburten seines Gehirns aus den Händen geworfen. Er zeigte aber hier sein feineres Gefühl; als einem ächten Dichter, war es ihm nicht genug, sich zu den Vorstellungsarten des Volkes herabzulassen, sondern er hob diese Vorstellungen zugleich zu seinem eigenen Geiste hinauf; — er begegnete[4] der Phantasie des Volks, aber er forderte von diesem auch eine Veredlung und Verfeinerung des Gefühls. In dieser Vereinigung veredelte er den gemeinen Aberglauben zu den schönsten poetischen Fictionen, er sonderte das Kindische und Abgeschmackte davon ab, ohne ihm das Seltsame und Abentheuerliche zu nehmen, ohne welches die Geisterwelt dem gewöhnlichen Leben zu nahe kommen würde.

Shakspeare ist ein ganz verschiedener Künstler als Tragiker, und in seinen sogenannten Lustspielen. Jeder Leser wird beim ersten Anblick auf die Bemerkung geführt seyn, daß das Wunderbare im Macbeth und Hamlet, dem Wunderbaren im Sturm und Sommernachtstraum, durchaus unähnlich sey. Ich wende mich zuerst zu den letztern Stücken.


I.

Ueber die Behandlung des Wunderbaren im Sturm.

Shakspeare's Schauspiele können in viele Klassen getheilt werden. Nur wenige sehen sich unter einander ähnlich; fast jedes hat irgend ein Gepräge der Eigenthümlichkeit, einen eigenen Geist, der es von den übrigen absondert. Alle sind treue Spiegel der Seele des Dichters; fast jedes ist ein Produkt einer eigenen, den übrigen unähnlichen Empfindung. Dem Sturm kann man kein anderes Schauspiel gegenüber stellen, als den Sommernachtstraum; man findet hier ohngefähr dieselbe Welt, und ähnliche Charaktere wieder; eben die blühende, ewig[5] lebendige Phantasie, und die zarte Empfindung; eben den leisen Fortschritt einer Begebenheit von kleinem Umfange; eben die Mischung des Ernsthaften und Komischen. Wenn ich auch nicht mit Malone die Dichtung des Sommernachtstraums, 17 Jahre vor der des Sturms setzen möchte, [1] so bin ich doch überzeugt, daß das letztere ungleich später als jenes geschrieben ward; denn man kann vielleicht sagen, daß der Sturm eine schönere und mehr vollendete Wiederhohlung des Sommernachtstraums sey.

Das Wunderbare, und die Art der Behandlung desselben, ist es vorzüglich, die diese Schauspiele in eine besondre Klasse stellt, und sie den übrigen Dichtungen der Shakspeareschen Muse unähnlich macht. Es scheint mir daher der Mühe werth, etwas genauer zu untersuchen, auf welche Art der Dichter die neue Bahn betritt, und ein Gemählde aufstellt, das wir mit eben so hoher Bewunderung als seine andern Meisterstücke betrachten.

[6]

Wenn man so eben von der Lesung des Macbeth oder Othello zurückkommt, so wird man versucht, den Sturm und Sommernachtstraum sehr tief unter diese großen Zeichnungen zu setzen; denn diese sanften und freundlichen Gemälde kontrastiren sehr gegen jene gigantischen Figuren. Man findet hier keine Schule der Leidenschaften, keine Geisterwelt, die uns mit Schrecken und Schauder füllt: Shakspeare läßt seine Donner schweigen, um ungestört die Imagination bei den reizenden Bildern verweilen zu lassen; er weiht in diesen Stücken den Zuschauer in seine Zauberwelt ein, und läßt ihn mit hundert magischen Gestalten in eine vertrauliche Bekanntschaft treten, ohne daß ihn Schrecken und Schauder von der geheimnißvollen Werkstatt in einer grauenhaften Entfernung halten. Man darf daher im Sturm nicht Scenen erwarten, die denen im Macbeth oder Hamlet ähnlich sind. Der Dichter hat uns hier die Geisterwelt näher gerückt, sie nicht in jener furchtbaren Entfernung gelassen, nicht mit jenem undurchdringlichen Schleier umhüllt, der die Blicke der Sterblichen zurückschreckt. Das Reich der Nacht ist hier von einem sanften Mondschein erhellt: wir treten dreist zu den freundlichen und ernsten Gestalten hinzu, die uns eben so wenig schrecklich als schädlich sind.


Wie gewinnt der Dichter nun die Täuschung für seine übernatürlichen Wesen?

1.

Durch die Darstellung einer ganzen wunderbaren Welt, damit die Seele nie wieder in die gewöhn[7]liche Welt versetzt, und so die Illusion unterbrochen werde. — Dadurch, daß die dargestellten Wunder nicht ganz unbegreiflich scheinen.

Dem erzählenden Dichter wird es ungleich leichter, den Leser in eine übernatürliche Welt zu versetzen: Schilderungen, poetische Beschreibungen stehen ihm zu Gebot, wodurch er die Seele zum Wunderbaren vorbereitet; man sieht die Erscheinungen erst durch das Auge des Dichters, und der Täuschung widersetzen sich nicht so viele Schwierigkeiten, da sie auch nie so lebhaft werden kann, als die Täuschung des Drama's werden soll. Man glaubt dem epischen Dichter gleichsam auf sein Wort, wenn er nur einige Kunst anwendet, seine wunderbare Welt wahrscheinlich zu machen; aber im Schauspiele sieht der Zuschauer selbst; der Schleier, der ihn von den Begebenheiten trennt, ist niedergefallen, und er verlangt daher hier auch eine größere Wahrscheinlichkeit.

Wenn der dramatische Dichter uns in eine wunderbare Welt einführen will, so wird er immer an unserm Unglauben die gröste aller Schwierigkeiten finden. Wir interessiren uns leicht für Leidenschaften und Situationen; wir werden bald mit Charakteren vertraut: aber wie soll die Schwierigkeit überwunden werden, daß uns die Geschöpfe, die blos in der Phantasie existiren, nicht immer übernatürlich erscheinen? Oder, wenn der Dichter endlich unsern Hang zur Illusion auf seine Seite gezogen hat, wie kann er es vermeiden, daß wir nicht in jedem Augenblicke den Betrug bemerken, und dadurch auf eine desto unangenehmere Art in die Wirklichkeit versetzt werden?

Daß die Allegorie diese täuschende Kraft nicht habe, bedarf wohl kaum einer Bemerkung. Man sieht[8] den Direkteur gleichsam mit der Hand unter seine nachahmenden Marionetten greifen; man sieht den dargestellten, moralischen oder philosophischen Satz, für sich da stehen: und eben dadurch, daß nur allein dem Scharfsinn Beschäftigung gegeben wird, verliert sich das Spiel der Phantasie; und in eben dem Augenblicke spricht der Verstand auch über die ganze übrige Composition ein Verdammungsurtheil aus; denn der Dichter lehrt ihn selbst zuerst, wie inconsistent seine Erdichtungen sind. So hebt Göthe, in seinem Egmont, nach einer sehr schönen Scene, durch eine Allegorie die ganze Wirkung des Schlusses auf. Sonst haben sich beym neuern Theater diese unpoetischen Fictionen fast ganz allein in das Gebiet der Prologe zurück gezogen. — Die Masken in den alten Englischen Schauspielen sind oft allegorisch, und selbst die Maske im Sturm hat einen Anstrich davon; allein sie gehört nicht wesentlich zum Stück, und ist auch vielleicht der größte Fehler des Stücks. Shakspeare vermeidet sonst immer die Allegorie, ob ihm ihr Gebrauch gleich sehr nahe lag; denn die Moralities waren oft ganz allegorisch; und selbst in den Trauerspielen, die kurz vor ihm, und selbst noch zu seiner Zelt aufgeführt wurden, stehen noch oft allegorische Wesen in der Reihe der handelnden Personen.

Der Sturm und der Sommernachtstraum lassen sich vielleicht mit heitern Träumen vergleichen: in dem letztern Stück hat Shakspeare sogar den Zweck, seine Zuschauer gänzlich in die Empfindung eines Träumenden einzuwiegen; und ich kenne kein anderes Stück, das, seiner ganzen Anlage nach, diesem Endzweck so sehr entspräche. Shakspeare, der so oft in seinen Stücken verräth, wie vertraut er mit den leisesten Regungen der menschlichen Seele sey, beobachtete sich auch wahrschein[9]lich in seinen Träumen, und wandte die hier gemachten Erfahrungen auf seine Gedichte an. Der Psychologe und der Dichter können ganz ohne Zweifel ihre Erfahrungen sehr erweitern, wenn sie dem Gange der Träume nachforschen: hier läßt sich gewiß oft der Grund entdecken, warum manche Ideencombinationen so heftig auf die Gemüther wirken; der Dichter kann hier am leichtesten bemerken, wie sich eine Menge von Vorstellungen an einander reihen, um eine wunderbare, unerwartete Wirkung hervorzubringen. Jedermann von lebhafter Phantasie wird gewiß schon oft gelitten, oder sich glücklich gefühlt haben, indem ihn ein Traum in das Reich der Gespenster und Ungeheuer, oder in die reizende Feenwelt versetzte. Mitten im Traume ist die Seele sehr oft im Begriff den Phantomen selbst nicht zu glauben, sich von der Täuschung loszureißen, und alles nur für betrügerische Traumgestalten zu erklären. In solchen Augenblicken, wo der Geist gleichsam mit sich selber zankt, ist der Schlafende immer dem Erwachen nahe; denn die Phantasien verlieren an ihrer täuschenden Wirklichkeit, die Urtheilskraft sondert sich ab, und der erste Zauber ist im Begriff zu verschwinden. Träumt man aber weiter, so entsteht die Nicht-Unterbrechung der Illusion jedesmal von der unendlichen Menge neuer magischen Gestalten, die die Phantasie unerschöpflich hervorbringt. Wir sind nun in einer bezauberten Welt festgehalten: wohin wir uns wenden, tritt uns ein Wunder entgegen; alles, was wir anrühren, ist von einer fremdartigen Natur; jeder Ton, der uns antwortet, erschallt aus einem übernatürlichen Wesen. Wir verlieren in einer unaufhörlichen Verwirrung den Maaßstab, nach dem wir sonst die Wahrheit zu messen pflegen; eben, weil nichts Wirkliches unsre Aufmerksamkeit auf sich heftet, verlieren wir in der ununterbrochenen Be[10]schäftigung unsrer Phantasie, die Erinnerung an die Wirklichkeit; der Faden ist hinter uns abgerissen, der uns durch das räthselhafte Labyrinth leitete; und wir geben uns am Ende völlig den Unbegreiflichkeiten Preis. Das Wunderbare wird uns itzt gewöhnlich und natürlich: weil wir von der wirklichen Welt gänzlich abgeschnitten sind, so verliert sich unser Mißtrauen gegen die fremdartigen Wesen, und nur erst beym Erwachen werden wir überzeugt, daß sie Täuschung waren.

Die ganze Welt von Wunderbarem ist es, die unsre Phantasie in manchen Träumen so lange beschäftiget, wo wir auf eine Zeit lang ganz die Analogie unsrer Begriffe verlieren, und uns eine neue erschaffen, und wo alles diesen neuerworbenen Begriffen entspricht. — Alles dieses, was die Phantasie im Traume beobachtet, hat Shakspeare im Sturm durchgeführt. Die vorzüglichste Täuschung entsteht dadurch, daß wir uns durch das ganze Stück nicht wieder aus der wundervollen Welt verlieren, in welche wir einmal hinein geführt sind, daß kein Umstand den Bedingungen widerspricht, unter welchen wir uns einmal der Illusion überlassen haben. Shakspeare beobachtet eben dies im Sommernachtstraum, aber nicht auf eine so vorzügliche Art, als im Sturm. Hier führt uns nichts in die wirkliche Welt zurück; Begebenheiten und Charaktere sind gleich außerordentlich; die Handlung des Stücks hat nur einen kleinen Umfang, aber sie ist durch so wunderbare Vorfälle, durch eine Menge von Uebernatürlichkeiten vorbereitet und durchgeführt, daß wir die Grundbegebenheit des Stücks fast ganz darüber vergessen, und uns nicht so sehr für den Zweck des Dichters interessiren, als für die Mittel, durch die er seinen Zweck erreicht. Der Faden, an welchem alles Uebrige gereiht ist, ist die Wiedereinsetzung eines vertriebenen Für[11]sten in sein Reich: eine Begebenheit, die an sich, wegen des Unpoetischen der Situation, wenig Interesse hat. Dieses einfache Sujet will der Dichter zu einem wunderbaren erheben; und wenn man nicht annimmt, daß Shakspeare es ganz aus einer Italiänischen Novelle schöpfte, (man hat aber noch keine, diesem Stück ähnliche, aufgefunden,) so ist es sehr interessant, zu bemerken, durch wie viele Grade der Dichter die gewöhnliche Begebenheit zu einer ungewöhnlichen und wundervollen erhob. Er läßt Prospero durch seinen Bruder vertrieben werden: dadurch setzt der Dichter ihn mit seinem Feinde in ein interessantes Verhältniß, das durch das minder Gewöhnliche die Aufmerksamkeit schon etwas mehr rege macht. Statt ihn blos zu verbannen und ins Elend zu schicken, läßt er ihn übers Meer, auf einem zerbrechlichen Nachen schiffen, und nach vielen Jahren an eine wüste, menschenleere Insel landen, wo er, von der ganzen übrigen Welt abgeschnitten, sich selber überlassen ist. Diese außerordentliche und romantische Situation kommt schon dem Wunderbaren nahe. Dieser Fürst aber, an dessen Schicksalen wir itzt Theil nehmen, ist kein gewöhnlicher Mensch; der Dichter läßt ihn als einen Charakter auftreten, der sich dem Ideale nähert? Er ist über die Leidenschaften der Menschen erhaben, er hat ihre Schwächen abgelegt. Dadurch können wir freilich für sein Unglück nicht gerührt werden, weil er es selbst nicht tief genug fühlt; der Charakter verliert die Theilnahme, die wir dem Elenden schenken, aber er wird in eben dem Augenblicke ein Gegenstand unsrer Bewunderung, und eben dadurch, daß die Hauptperson kein gewöhnlicher Mensch ist, wird das Wunderbare im Stück wieder um einen Grad erhöht. Er lebt aber nicht ganz einsam in seiner Verbannung; seine Tochter ist seine Begleiterinn ge[12]wesen: Auf ihre zarte Unschuld, auf ihre feinen Empfindungen, auf das reizendste weibliche Geschöpf wird nun die Liebe des Zuschauers gelenkt, die den über ihm erhabenen Prospero nicht erreichen kann. Durch diesen Charakter verbindet Shakspeare sehr geschickt seine wunderbare mit seiner wirklichen Welt; die letztere muß die Empfindung des Zuschauers für sich gewinnen, wenn ihn die erstere nie von seinem Erstaunen, und der daraus entstandenen Illusion zurückkommen läßt.

Prospero ist aber noch mehr, als ein edler Mensch; der Dichter läßt ihn zugleich als ein übermenschliches Wesen auftreten, dessen Befehlen die Natur willig gehorcht, der durch das Studium der Magie eine Herrschaft über die Geister erlangt hat, durch die er alle Umstände nach seinem Willen lenkt. Der Zauberer Prospero bekommt itzt seine Feinde in seiner Gewalt; er will sie bestrafen, und sein verlohrnes Eigenthum wieder erlangen. Ein anderer Zweck Prospero's ist die Verbindung seiner Tochter mit dem liebenswürdigen Sohn des Königs von Neapel: die Liebe der beyden zarten Seelen verbindet hier wieder den Theil des Stücks, der unser Mitgefühl erregen soll, mit dem andern Theile, der uns mit dem Reiche der Geister bekannt macht. Shakspeare führt sogar diese Verbindung des Interesse, und der Täuschung des Aberglaubens, durch alle ernsthafte Scenen seines Schauspiels durch; denn unter den Bösewichtern ist Alonso, der Vater Ferdinands, darum ein fühlender Charakter, der sogar in einem gewissen Grade unser Mitleid erregt, da Sebastian und Anthonio sich nur unsern Haß durch ihre Kälte zuziehn.

Prospero führt seinen Plan durch Hülfe seiner dienstbaren Geister aus: Ariel ist der oberste seiner Diener. Der Zuschauer wird nun selbst zu den geheimsten Anschlä[13]gen zugelassen; er sieht alle Mittel, durch welche Prospero wirkt; kein Umstand bleibt ihm verborgen. Die Macht der Geister selbst ist ihm zwar unbegreiflich; aber es ist ihm genug, daß er sie wirken, und Prospero's Gebote erfüllen sieht. Er verlangt keine näheren Aufschlüsse; er glaubt sich in alle Geheimnisse eingeweiht, indem keine Wirkung erfolgt, die er nicht gleichsam selber zubereiten sah, — keine Erscheinung, kein Wunder eintritt, von dem er nicht vorher wußte, daß es in demselben Augenblick eintreten würde. Er wird daher durch nichts überrascht oder erschreckt, ob ihn gleich alles in ein neues Erstaunen, und in einen traumähnlichen Rausch versetzt, durch welchen er sich am Ende in einer wunderbaren Welt, wie in seiner Heimath befindet. — Durch die Charaktere Ariels und Calibans erschafft Shakspeare vorzüglich diese ganze wunderbare Welt um uns her; sie sind gleichsam die Wächter, die unsern Geist nie in das Gebiet der Wirklichkeit zurücklassen: Ariels Gegenwart erinnert uns in allen ernsten, Calibans in allen komischen Scenen, wo wir uns befinden. Prospero's magische Veranstaltungen, die ununterbrochen eine nach der andern einfallen, lassen das Auge auf keinen Moment in die Wirklichkeit zurück, die sogleich alle Phantome des Dichters zu Schanden machen würde. Auch der seltsame Kontrast zwischen Ariel und Caliban erhöht unsern Glauben an das Wunderbare. Die Schöpfung dieses abentheuerlichen Wesens war die glücklichste Idee des Dichters; er zeigt uns in dieser Darstellung die seltsamste Mischung von Lächerlichkeit und Abscheulichkeit: dies Ungeheuer steht so weit von der menschlichen Natur entfernt, und ist mit so höchst täuschenden und überzeugenden Zügen geschildert, daß wir uns schon durch die Gegenwart des Caliban in eine ganz fremde, bis[14] ist uns unbekannte Welt, versetzt zu seyn glauben würden.

Shakspeare eröffnet das Stück sogleich für seinen Zweck auf die schicklichste Weise. Seine Einleitungen sind sonst immer sehr kalt und ruhig; er führt uns gewöhnlich erst in das Interesse seines Sujets, ehe er unsre Phantasie erhitzt. Da er aber beim Sturm einen ganz unterschiedenen Zweck hatte, so spannt er gleich anfangs die Imagination und die Erwartung auf einen sehr hohen Grad. Durch die kühne Darstellung des Ungewitters und des geängstigten Schiffes erschüttert er den Zuschauer fast, und bereitet ihn schon hiedurch für alles Wunderbare vor, das nachher in seinem Stücke erscheint. Der erste und größte Schlag ist dadurch geschehen; die wunderbare Welt des Dichters ist uns dadurch weniger fremdartig; alles Abentheuerliche und Seltsame ist uns gleich durch die Einleitung näher gerückt; die Einbildung wird zu einem hohen Grade erhitzt, und jeder Aberglaube erscheint uns itzt natürlicher. [2] Prospero tritt nun selbst [15] auf, und kündigt sich als Zauberer an; wir lernen nun den Zusammenhang der Sachen; und in den folgenden Scenen, in welchen Ariel und Caliban auftreten, werden wir nicht nur ganz in alle Dichtungen Shakspeare's eingeleitet, sondern der Glaube daran steht itzt schon in unser Seele fest. Auch die seltsame Einschläferung der Miranda, die dem Zuschauer anfangs unbegreiflich ist, stimmt ihn für eine gewisse dunkle zauberische Empfindung; — und im ganzen folgenden Theil des Stücks verlieren wir die wunderbare Welt nie wieder aus den Augen, nur, indem der Vorhang fällt, hören wir auf, Prospero für einen Zauberer zu halten, und uns in eine Feenwelt versetzt zu glauben.

Der Zuschauer wird hier durch das nie unterbrochene Wunderbare in eine Stimmung versetzt, die das auf wenige Stunden ist, was Don Quixotte's Wahnsinn, auf mehrere Jahre, und in einem höheren Grade ist. Dieser wird nie aus seinem Glauben an die abentheuerlichsten Rittergeschichten gerissen, weil seine Phantasie sich allenthalben die Personen und die Begebenheiten erschafft, die er sucht. Alle Gegenstände, die er sieht, entsprechen denen, von denen er gelesen hat; denn er verwandelt Hütten in Palläste, Windmühlen in Riesen, und Aufwärter in Zauberer. Cervantes hätte diesen vortrefflichen Roman daher gewiß weit befriedigender schließen können, wann er gesucht hätte, seinem Helden nur eine einzige Begebenheit in den Weg zu werfen, bei der es dessen geschäftiger Phantasie unmöglich geworden wäre, sie umzuschaffen. Dadurch wäre er auf einen Zeitpunkt aus seiner Illusion gerissen, und hätte dadurch Gelegenheit bekommen, mehrere Ideen an diesen Vorfall zu knüpfen; und auf diese Art hätte der Verfasser nach und nach alle die Traumgestalten verschwinden lassen können,[16] von denen Don Quixotte umgeben war; denn dieser hätte dadurch einen Maaßstab in die Hand bekommen, nach welchem er die Wahrheit vom Irrthum unterschieden hätte.

Wenn das Wunderbare aber isolirt steht, und für sich einen Theil des Schauspiels ausmacht, so kann es uns auf keine Weise in jene Illusion versetzen, die unentbehrlich ist, wenn uns die Composition des Dichters nicht abgeschmackt erscheinen soll. Shakspeare mußte von dieser Idee sehr überzeugt seyn, denn er wendet sie auch da an, wo er zwar keine übernatürliche Welt darstellt, aber doch solche Begebenheiten, welche außerordentlich sind und sich dem Wunderbaren nähern. Er vereinigt daher im Kaufmann von Venedig zwei seltsame Geschichten, wo die eine durch die andre wahrscheinlicher wird. Wir glauben das abentheuerliche eben deshalb, weil Alles abentheuerlich ist, weil nichts uns an unsre gewöhnliche Welt erinnert. Ich will zugeben, daß sowohl die Hauptbegebenheit als die Episode, im Kaufmann von Venedig, undramatisch sind, aber in der Art, wie Shakspeare beide verbindet, und darin, daß er grade diese Episode wählte, hat er eben so viel Geschmack als Scharfsinn bewiesen. Wie wenig das Wunderbare wirkt, wenn es der Dichter zu einzeln stehen läßt, sieht man zum Beispiel in der Oper von Marmontel: Zemire und Azor; in der Fee Urgele, selbst in manchen neueren epischen Gedichten. Die Henriade kann dafür, so wie für die Unwirksamkeit der Allegorischen Wesen, sehr deutliche Beweise liefern. Die neuere deutsche Operette: Don Juan, ist zu abgeschmackt, um irgend ein Beispiel aus ihr zu entlehnen. Die getreue Schäferin von Fletcher giebt einen sehr auffallenden Beweis, wie[17] wenig das Wunderbare wirkt, wenn nicht Alles im Schauspiel wunderbar ist. Ein alter Schäfer ist plötzlich ein Zauberer, ohne daß wir es vorher vermuthet hatten; ein Mädchen stirbt, und ein Flußgott tritt plötzlich hervor, und erweckt sie wieder. Diesen Fictionen fehlt es ganz an täuschender Kraft, weil sie zu sehr einzeln für sich dastehen; das Uebrige der Handlung versetzt uns in keine Welt, wo wir solches Begebenheiten erwarten könnten, und daher versagen wir ihnen unsern Glauben.

2.

Durch Mannigfaltigkeit der Darstellungen, und durch die Milderung der Affekte.

Es läßt sich aber kein interessantes Schauspiel denken, in welchem der Zuschauer blos durch Dekorationen, Erscheinungen und Wunderwerke befriedigt würde. Mag die Täuschung auch noch so künstlich durchgeführt seyn, das Auge wird ohne die Seele beschäftigt: die Empfindung des Zuschauers muß eben so sehr, als seine Imagination, in Thätigkeit gesetzt werden, sonst ermüdet das Spiel der übernatürlichen Wesen am Ende, und die Täuschung zerstört sich eben dadurch, daß sie der Dichter zu wenig auf sein ganzes Stück zu vertheilen, und an manchen Stellen zu mildern versteht, um das Interesse auf andre Gegenstände zu lenken, und das Wunderbare dann mit neuer Kraft hervortreten zu lassen. Um das Wunderbare vollkommen täuschend zu machen, scheint die Menge und ununterbrochene Wirkung der übernatürlichen Wesen selbst nicht hinreichend, sondern Mannigfaltigkeit der dargestellten Wesen scheint unentbehrlich. Ich habe schon oben bemerkt, daß es Miranda vorzüglich ist, die die wunderbare Welt mit der wirklichen ver[18]knüpft, und dadurch diese Mannigfaltigkeit hervorbringt; durch die Situationen, die Prospero veranlaßt, wird auf diese Art ununterbrochen unsre Phantasie und unser Gefühl gleich stark beschäftigt: Shakspeare vertheilt so auf die schicklichste Weise das Wunderbare mehr durch das ganze Stück, und erhält unsre Illusion durch die Abwechselung in einer stets gleichen Kraft. — Die Liebe Ferdinands und Miranda's erregt unsre Theilnahme bis zum Schlusse des Schauspiels, das zarte Gefühl dieser beiden Charaktere erwärmt unser Herz, und verhindert, daß wir nicht blos das magische Maschinenspiel Prospero's anstaunen, und leer und kalt den Vorhang endlich fallen sehen. —

Diese Charaktere, so wie die des Alonso und seiner Gefährten, wären aber auch vielleicht für einen minder genievollen Dichter die Klippe gewesen, an der die Einheit seines Schauspiels gescheitert wäre; in Ansehung der Art aber, wie Shakspeare die Affekte vertheilt, sie verstärkt oder mildert, nachdem es sein Zweck erfordert, hat er vielleicht mehr wie irgend ein anderer dramatischer Dichter den Namen des Weisen verdient. — Kein anderer Dichter zieht zwischen der Tragödie und dem Schauspiel eine so genaue Gränze, und von dieser Seite hat man nie Shakspeare's dramatische Kunst hinlänglich geschätzt. — Hätte er unter seinen wunderbaren Erscheinungen eine Liebe dargestellt, wie die in Romeo und Julie, hätte er Alonso den Verlust seines Sohnes eben so tief empfinden lassen, als Hamlet den Tod seines Vaters fühlt, so würden diese Leiden der Seele unsre Theilnahme so ausschließend an sich gezogen haben, daß durch diesen festgehefteten Blick die Täuschung des Wunderbaren sogleich aufgehört hätte. Wir hätten dann einen Gegenstand gefunden, der uns näher interessirt hätte, jene übernatür[19]lichen Wesen wären uns gleichgültig, und eben dadurch unwahrscheinlich geworden, und wenn sie auch unaufhörlich auf die Begebenheiten gewirkt hätten, so würden sie dadurch vielleicht mehr unsern Unwillen erregt, als unsre Theilnahme gewonnen haben, indem wir durch fremdartige Wesen Leiden und Empfindungen entstehen sehen, die unserm Herzen so nahe liegen, und die eben dadurch eine tiefe und bleibende Rührung hervorbringen.

Im ganzen Stücke aber hat der Dichter sorgfältig alle hohen Grade, alle Extreme der Leidenschaften, vermieden. Am höchsten ist der Affekt am Schluß des dritten Akts gespannt, aber hier läßt der Dichter den Alonso auch sehr schnell abbrechen, er rückt ihn schnell aus den Augen der Zuschauer, weil hier der Redende leicht unser Mitleid in einem hohen Grade erregen, und so zum tragischen Charakter werden konnte. — Eben so hat der Dichter alle übrigen Affekte gemildert, er läßt sie nie einen sehr hohen Grad erreichen, er will uns in keiner Situation tief rühren oder erschüttern, keine Person soll unser Mitleid erregen, Prospero so wenig als Ferdinand oder Alonso. Tragische Situationen und hohe Affekte lagen dem Stoff seines Schauspiels ziemlich nahe: Prospero konnte sich höchst unglücklich fühlen, Alonso konnte verzweifeln, seine Gefährten konnten vom Hunger und dem ganzen Gefühle ihres Elends auf einer wüsten Insel gemartert werden; wie lebhaft konnte der Dichter ihr Entsetzen beim Anblick der Geister zeichnen, — aber alle diese Gelegenheiten vermeidet Shakspeare, er erhebt Prospero zu einem fast übermenschlichen Wesen, Alonso und seine Gefährten werden uns nicht als Leute gezeigt, die im höchsten Grade unglücklich sind, ihre Verwunderung beim Anblick der Geister ist kein Schreck oder Entsetzen; — der Dichter fühlte es zu lebhaft, wie eine ein[20]zige Scene voll hohen Affekts den Glauben an das Wunderbare zerstören, und so die Einheit seines Schauspiels vernichten würde.

Seine dargestellten Affekte sind im Sommernachtstraum, eben so wie hier, gemildert: Liebe, Eifersucht und Zorn kommen den Gemählden in Romeo, dem Wintermährchen, oder Othello, bey weitem nicht nahe, — obgleich alles dies im Sommernachtstraum nicht so edel und schön als im Sturm durchgeführt ist. — Keines von allen Lustspielen Shakspeare's gränzt so sehr, (besonders in den drey ersten Akten,) an die Tragödie, als das Wintermährchen. Die Eifersucht des Leontes ist hier nicht die tragische Eifersucht Othello's, aber sie steht nicht sehr tief unter dieser, der Dichter hat sie doch so weit und so stark gezeichnet, daß sie seine Begebenheiten motivirt, alle Aufmerksamkeit wird durch die Zeichnung auf diese gelenkt, der Blick wird vorzüglich auf diesen Gegenstand geheftet, — man kann sich daher in diesem Stücke nicht gut eine Geisterwelt denken, die uns täuschte; die hohe Leidenschaft würde gleichsam beständig mit dieser in Widerspruch stehen, neben Hermionens Unglück und Leontes Wuth würde ein Ariel oder Puck keine Rolle spielen können, man würde sie unnatürlich und abgeschmackt finden.

Auch gegen diese Regel, der der feiner empfindende Shakspeare folgte, hat Fletcher in seiner getreuen Schäferinn gefehlt. Perigot's Wuth und Eifersucht, in der er seine Geliebte ersticht, erreicht den höchsten Grad; diese Scene ist ganz im Kolorit der Tragödie gemahlt, — und eben diese hohe Leidenschaft vermehrt unsern Unglauben, wenn wir kurz darauf den Flußgott erscheinen sehn, der die Geliebte ins Leben zurück bringt.[21] Die Phantasie kann sich nicht mit dieser Fiction beschäftigen, da sie der Dichter kurz vorher durch alle Grade der Wuth und Eifersucht geführt hat; die Seele erwartet hier Gefühle, die jenen entsprechen, und die Einbildungskraft in dieselbe Thätigkeit setzen, das Wunderbare aber, das hier eintritt, erregt nur ein Erstaunen, die Illusion hört auf, und das Wunderbare erscheint uns nur als ein nichtssagender Scherz des Dichters.

Wenn das Wunderbare und hoher Pathos auf eine solche Art abwechseln, so entsteht dadurch die widrigste Unterbrechung. Die Illusion eines Traums und eines wunderbaren Schauspiels hören nach denselben Gesetzen auf: sobald in einem Traume das Unglück einer Person einen sehr hohen Grad erreicht, so fang' ich an, an der Wahrheit des Traums zu zweifeln, oder ich verliere wenigstens die wunderbaren Wesen ganz aus dem Gedächtniß, die die Urheber dieses Unglücks waren.

3.

Durch das Komische.

Wenn die Täuschung des Wunderbaren also dadurch entsteht, daß der Zuschauer nie auf irgend einen Gegenstand einen festen und bleibenden Blick heftet, daß der Dichter die Aufmerksamkeit beständig zerstreut, und die Phantasie in einer gewissen Verwirrung erhält, damit seine Phantome nicht zu viele körperliche Consistenz erhalten, und dadurch unwahrscheinlich werden; — so mußte Shakspeare fühlen, daß durch die Art, von der bis itzt von der Behandlung des Wunderbaren gesprochen ist, diese Forderungen noch nicht hinlänglich erfüllt würden. Sein Schauspiel hatte Mannigfaltigkeit, in[22]dem es nicht blos eine Geisterwelt darstellte, sondern auch das Herz durch liebenswürdige Charaktere erwärmte: er glaubte aber die Aufmerksamkeit des Zuschauers noch nicht genug zerstreut, und gab seinem Stücke einen neuen Zusatz, durch den es eben so viel an Schönheit, als an psychologischer Richtigkeit gewann.

Es ist eine sonderbare Erscheinung in der menschlichen Seele, daß sie oft das Fürchterliche und Lächerliche so nahe bey einander findet, daß die Phantasie so gern denselben Gegenstand komisch und entsetzlich macht, und daß eben das, was itzt Lachen erregt, bey gespannter Phantasie in Schauder versetzen kann. Es gehört dies zur unbegreiflich schnellen Beweglichkeit der Imagination, die in zwey auf einander folgenden Momenten ganz verschiedene Ideen an einen und denselben Gegenstand knüpfen, und itzt Lachen, und gleich darauf Entsetzen erregen kann. In den Geister- und Hexen-Mährchen des gemeinen Haufens finden sich eben so viele schreckliche als lächerliche Züge. Aber man wird sehr häufig finden, daß ohne dieses Lächerliche, das Entsetzliche den grösten Theil seiner Stärke verlieren würde, und eben so oft, daß eben das, was uns in dem einen Augenblicke zum Lachen reizen kann, uns bey einer exaltirten Phantasie ein Grauen erregt. Kinder fürchten sich vor gezeichneten Carrikaturen eben so leicht, als sie darüber lachen; die Hexen im Macbeth würden komische Gegenstände seyn, wenn die Umstände, unter welchen wir sie kennen lernen, sie nicht fürchterlich machten. Die Phantasie betrachtet erst abgesondert vom Uebrigen den Theil der Zusammensetzung, der lächerlich ist, sie findet nun nichts als das eigentlich Komische, und ergötzt sich an dem Burlesken und Abgeschmackten: durch eine plötzliche Umwendung erblickt sie nun die andre, die schreckliche Seite des Gegenstandes,[23] sie entdeckt eine Beziehung, die sie nicht vermuthet hatte, durch das, was vorher lächerlich schien, erhält nun das fürchterliche Bild so individuelle Züge, daß die Imagination davon, wie von einem gewaltigen Schlage, getroffen wird. Es ist nicht unnatürlich, daß ein Wanderer, der am Abend über seinen mißgestalteten Begleiter spottet, sich aber plötzlich erinnert, daß er an einem verdächtigen Orte sey, plötzlich anfängt, seinen Gefährten für ein Gespenst zu halten, und daß jeder Zug, der ihm so eben lächerlich war, ihm itzt fürchterlich erscheint.

Im Traume verfährt die Phantasie oft eben so; das Lächerliche präparirt sehr oft das Gräßliche. Wir würden oft das Furchtbare bezweifeln, aber eben durch die komischen, individuellen Züge, die oft ganz aus der gewöhnlichen Welt hergenommen sind, werden wir gezwungen, es zu glauben, denn unsre Urtheilskraft wird so verwirrt, daß wir die Kennzeichen vergessen, nach denen wir sonst das Wahre beurtheilen, wir finden nichts, worauf wir unser Auge fixiren könnten; die Seele wird in eine Art von Schwindel versetzt, in welchem sie sich am Ende gezwungen der Täuschung überläßt, da sie alle Kennzeichen der Wahrheit oder des Irrthums verloren hat. Cazotte hat in seinem vortrefflichen Mährchen: Le diable amoureux, diese Bemerkung sehr vortheilhaft genutzt, denn hierin besteht zum Theil das Räthselhafte und Fürchterliche seiner Erzählung. Er läßt selbst am Schluß einen alten Priester zum Alvarez sagen: »Après vous avoir ébloui autant que vous avez voulu l'être, contraint à se montrer à vous dans toute sa difformité, il obéit en esclave qui prémédite la révolte; il ne veut vous laisser aucune idée raisonnable et distincte, mêlant le grotesque au terrible; le puérile de ses escargots lumineux, à la découverte[24] effrayante de son horrible tête; enfine le mensonge à la vérité; le repos à la veille; de manière que votre esprit confus ne distingue rien, et que vous puissiez croire, que la vision qui vous a frappé, étoit moins l'effet de sa malice, qu'un rêve occasioné par les vapeur de votre cerveau.« —

Um diese Bemerkungen auf den Sturm und den Sommernachtstraum anzuwenden, so wird man bald fühlen, daß es die komischen Scenen vorzüglich sind, durch welche der Dichter unsre Aufmerksamkeit zerstreut, und verhindert, daß wir nicht ein zu festes und prüfendes Auge auf die Wesen seiner Imagination heften, das sie nicht aushalten würden. Das Lächerliche soll zwar hier nicht das Furchtbare verstärken, aber es vermehrt hauptsächlich die Mannigfaltigkeit der Wesen, die die Phantasie beschäftigen. Ohne die komischen Personen Trinkulo und Stephano, hatte das Schauspiel immer noch den Fehler einer gewissen Monotonie, alles wies noch zu sehr auf Prospero und die wunderbare Welt hin, die ihn umgiebt; Ferdinands und Mirandas Liebe hat selbst etwas Romantisches, das ans Abentheuerliche gränzt, so wie die Begebenheiten Alonso's und seiner Gefährten; das Wunderbare würde eben darum nicht täuschen, weil es zu wunderbar war. Ein seltsamer Traum illudirt uns um so leichter, wenn wir Personen darin erscheinen sehn, die wir recht genau kennen. Auf eben diese Art hintergeht uns der Dichter, indem er Charaktere einführt, die seiner wunderbaren Welt zu widersprechen scheinen, da sie ganz aus der gewöhnlichen genommen sind, die nichts von jenem Außerordentlichen haben, das wir an allen übrigen Personen wahrnehmen. So entfernt uns die übrige wunderbare Welt steht, so nahe stehen uns diese; durch ihre Alltäglichkeit[25] erhält das Ganze mehr individuelle Züge, und indem sie einen Theil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wird das Schauspiel, und das Übernatürliche dadurch um so täuschender und wahrscheinlicher. — Aber, so wie im Sommernachtstraum, läßt sie der Dichter nicht ganz gewöhnlich und alltäglich bleiben, dies würde sie von der wunderbaren Composition des Ganzen zu sehr trennen, er bringt sie durch Caliban in eine abentheuerliche Gruppe zusammen, und durch diesen seltsamen Charakter verknüpft der Dichter wieder auf die geschickteste Weise das Wunderbare und Komische seines Stücks. Caliban selbst ist nur halb komischer Charakter, aber er bringt Trinkulo und Stephano in den Gesichtspunkt, in welchem sie komisch erscheinen, er ist zugleich die Person, die uns unaufhörlich in die Welt voller Seltsamkeiten und Wunderwerke versetzt, die uns der Dichter nie will aus den Augen verlieren lassen. — Im Sommernachtstraum beobachtet Shakspeare eben dies, die komischen Personen sind ganz aus der gemeinen Welt entlehnt, aber durch Puck werden sie in eine wunderbare Verbindung mit dem übrigen Stücke gebracht. Nur ist auch der komische Theil des Sommernachtstraums viel schwächer als der des Sturms: Caliban ist der schöner erfundene und kunstreicher durchgeführte Puck, und die komischen Scenen selbst schließen sich hier weit besser an den ernsthaften Theil des Stücks.

Trinkulo und Stephano sind keine komische Charaktere, deren Zeichnung der Dichter sehr zu entwickeln nöthig hätte. Feigheit, Sucht zu scherzen und Liebe zum Trunk sind die Haupteigenschaften, die sie, ohne eine Beimischung von vielen Nebenzügen, komisch machen. Diese beyden Charaktere lassen sich schnell erkennen und leicht verstehn, sie erfordern kein Studium,[26] weil sie der Dichter fast ganz rein und unvermischt gelassen hat. — Shakspeare hatte bey dieser Zeichnung denselben Zweck, den er bey der Milderung der Affekte hatte, sie sollten die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht zu lange und nicht zu fest auf sich heften, weil sonst über das Mittel der Zweck selbst verlohren gegangen seyn würde; sie sollten nur die Zerstreuung der Theilnahme befördern, und das Wunderbare, und den Eindruck des ganzen Stücks unterstützen. Parolles aber statt Trinkulo, oder Falstaff statt Stephano, würden die herrschenden Theile des Schauspiels werden, alle übrigen würden verdunkelt zurücktreten, und so gienge die Einheit des Ganzen verloren. Shakspeare aber charakterisirte sie in wenigen auffallenden und bleibenden Zügen.

Die Nothwendigkeit des Komischen haben auch fast alle neueren Dichter gefühlt, die aus irgend einem wunderbaren Mährchen eine Oper zusammensetzten; man findet jedesmal wenigstens einen komischen Charakter darin. Die Einführung des Wunderbaren in seine Schauspiele, war eines der Mittel, wodurch Gozzi seinen talentvolleren Vorgänger Goldoni vom Italiänischen Theater zu verbannen suchte. Das Unregelmäßige seiner Stücke gab einigen reisenden Engländern Gelegenheit, ihm den Namen eines Italiänischen Shakspeare zu geben. Diese beiden Dichter sind sich aber durchaus unähnlich, sowohl was die Darstellung der Charaktere und Leidenschaften, als auch die ganze Anlage ihrer Stücke betrifft. Gozzi hat keinen andern Plan, als zu unterhalten, und Lachen zu erregen; der größte Theil seiner Schauspiele ist nur Farce, er dramatisirt irgend ein orientalisches Mährchen, besetzt einen Theil der Rollen mit komischen Personen, und fügt das Wunderbare hinzu, um seine Composition noch bizarrer und grotesker zu machen. Man kann seinen[27] Stücken nicht eine gewisse flüchtige Laune, einen lebendigen Witz absprechen, aber er hat es gewiß nur dem Hang seiner Landsleute für die Farce zu danken, daß seine dramatischen Mißgeburten einen so schreienden Beifall erhielten, und die Stücke Goldoni's verdunkelten, die in jeder Rücksicht unendlich über den seinigen stehen. In der Art, wie Gozzi das Wunderbare in seinen Stücken benutzt, zeigt es sich vorzüglich, wie wenig er neben Shakspeare genennt zu werden verdient, denn bei ihm ist es nur ein Spielwerk für die Augen des Zuschauers, der durch Verwandlungen oft genug überrascht wird.

Nicht blos der dramatische, sondern auch der epische Dichter kann auf die bis itzt bemerkte Art seiner wunderbaren Welt einen höhern Grad von Wahrscheinlichkeit geben. Ariost's Zauberkreis ist eben darum so wahr und überzeugend, weil er uns nie Geister und Zauberer aus dem Gesichte verlieren läßt; wir verlassen nie die Welt wieder, in die er uns einmal eingeführt hat; die komischen Episoden, der scherzhafte Ton, in dem er so oft spricht, befördern ebenfalls den Glauben an seine Wunder. Beim Tasso steht die Zauberwelt mehr isolirt, sie hat daher auch gar nicht jenes lebendige und täuschende Kolorit, sie ist immer weit von uns entfernt, wenn wir vertraulich unter allen Phantomen Ariost's, wie unter Bekannten umhergehn.

4.

Durch Musik.

Das letzte, wodurch Shakspeare unsern Glauben für seine Zaubereien gewinnt, ist ein völlig mechanischer Kunstgriff, — nämlich durch die Musik. — Die Er[28]fahrung wird jedermann, überzeugt haben, wie sehr Gesang und Musik abentheuerliche Ideen und Vorfälle vorbereiten, und gewissermaaßen wahrscheinlich machen. Die Phantasie wird durch Töne schon im voraus bestochen, und der strengere Verstand eingeschläfert; aus eben dieser Ursach erscheinen uns manche Zauber- und Feen-Mährchen als Operetten noch ziemlich erträglich, die als Schauspiele den höchsten Grad unsers Widerwillens erregen würden. — Jeder Zuschauer muß es gefühlt haben, wie der Marsch von Hörnern im vierten Akt der Räuber, den Karl Moor blasen läßt, die folgende abentheuerliche und fürchterliche Scene vorbereitet.

Lieder und Gesänge sind daher durch den ganzen Sturm zerstreut: Ferdinand tritt auf, indem Ariel ein seltsames Lied spielt, das völlig dem Kolorit der Feenwelt entspricht, und das daher weder Gildon's Tadel, noch Warburton's großes Lob verdient; Ariel schläfert durch Musik Alonso und seine Begleiter ein, und erweckt sie wieder durch Musik, Stephano tritt mit einem Liede auf, Caliban schließt den zweiten Aufzug mit einem Gesange, Ariel spielt im dritten Akt, indem Trinkulo und Stephano singen, unter einer feierlichen Musik tragen Geister dem Alonso und seinen Gefährten eine Tafel auf, nach Ariels Verschwindung folgt eine sanfte Musik, eine solche kündigt die Maske an, die Prospero von Geistern aufführen läßt, unter einem feierlichen Gesange treten die Fremden in Prospero's Zaubercirkel, und Ariel singt bald nachher ein fröhliches Lied. Shakspeare läßt auf diese Art die Musik durch das ganze Stück nicht verstummen, er kannte den Einfluß der Tonkunst auf die Gemüther zu sehr.




II.

[29]

Ueber die Behandlung des Wunderbaren in der Tragödie.

Ich habe bis itzt nur von der Art des Wunderbaren gesprochen, die im Sturm und Sommernachtstraum herrscht, und von der Manier, mit der es der Dichter hier behandelt; ich will itzt noch einige kurze Bemerkungen über die Darstellung desselben Stoffs in seinen Tragödien versuchen.

Der Zweck des Trauerspiels ist Furcht und Mitleid. Die Tragödie ist das Gebiet aller hohen Affekte, der Extreme der Leidenschaften; die Aufmerksamkeit des Zuschauers muß immer auf einen Punkt geheftet bleiben, jede Zerstreuung thut der Wirkung des Stückes Schaden. Durch alle Gradationen des Elends und der Leidenschaften führt uns der Dichter seinem Zweck entgegen: von Othellos Liebe bis zum letzten und fürchterlichsten Augenblicke seiner Eifersucht, von dem Moment, da Macbeth den ersten, flüchtigen Gedanken des Mordes faßt, bis zu dem, da er endlich mit seinem Tode die Zahl seiner Verbrechen schließt. Kein Vorfall, kein Charakter darf uns hier in den Weg treten, der uns den Hauptgesichtspunkt verrückte; sobald der Zuschauer hier unterbrochen wird, ermattet auch die Theilnahme. Ich habe aber eben zu zeigen gesucht, daß das Wunderbare im Sturm und Sommernachtstraum eben dadurch wahrscheinlich werde, daß die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht zu lange auf einem Punkt geheftet bleibe; der hohe Affekt der Tragödie, der Endzweck des Trauerspiels selbst, scheinen[30] also nicht eine solche Geisterwelt zu vertragen, wie sie Shakspeare im Sturm darstellt.

1.

Die Geisterwelt steht uns hier entfernter, und ist uns unbegreiflicher.

Er handelt auch in der Tragödie ganz umgekehrt: die Geisterwelt ist hier der wirklichen untergeordnet, der Dichter läßt sie nicht als Hauptzweck hervortreten; sie wahrscheinlich zu machen, sind ihr nicht die übrigen Theile des Stücks untergeordnet, — sondern Leidenschaften und Begebenheiten unserer Welt ziehen die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich; — die wunderbare dient ihm nur dazu, das Furchtbare zu verstärken, uns noch tiefer zu erschüttern. Das Wunderbare tritt hier in den Hintergrund zurück; wie ein Blitzstrahl bricht es dann plötzlich hervor, und eben darum ist hier die Kunst des Dichters, es wahrscheinlich zu machen, nicht so nothwendig; wenn er es nur dahin bringt, daß es nur eintritt, uns zu erschrecken und zu erschüttern, so wird schon dadurch unsre Illusion völlig gewonnen, denn der Schreck, den wir empfinden, läßt den richtenden Verstand nicht zur Sprache kommen.

Im Sturm und im Sommernachtstraum ist uns die Geisterwelt näher gerückt. Wir verstehn zwar immer nicht, wie Ariel wirkt, oder wie eine Blume, (siehe die schöne Beschreibung im zweiten Akt des Sommernachtstraums,) die Wirkungen haben kann, die ihr Oberon beilegt; — aber wir sehen doch die Mittel, durch welche eine Wirkung hervorgebracht wird, der Dichter macht uns mit der Natur des Ariel und der Titania bekannt.[31] Völlig unbegreiflich hingegen sind uns die Erscheinungen in der unterirdischen Hexenhöhle; der Geist des alten Hamlet und des Banquo bleiben immer für uns fremde, unbegreifliche Wesen. In dem Dunkeln und Räthselhaften dieser wunderbaren Welt liegt das Erschreckende; — daß wir so unendlich weit von ihr entfernt stehen, und mehr ahnden, als wirklich wahrnehmen, dies ist es, was unsern Schauder erregt, und uns so stark erschüttert. Shakspeare charakterisirt im dritten Akt des Sommernachtstraums diese beiden Arten der Geister selbst sehr gut:

Puck.

Das muß, o Geisterfürst, sehr bald geschehn;
Die schnellen Drachen, die den Wagen ziehen
Der braunen Nacht, durchschneiden schon die Wolken
Mit größrer Eil', und dorten scheint Aurorens
Vorläufer schon, bei dessen Ankunft die
Umirrenden Gespenster schaarenweise
Heim zu Kirchhöfen eilen. Schon sind alle
Verdammten Geister, die auf Scheidewegen,
Und in den Fluthen ihr Begräbniß haben,
Zu ihrem würmervollen Lager bebend
Zurückgekehrt; aus Furcht, der helle Tag
Möcht' ihre Schande sehn, verbannen sie
Freiwillig sich vom Lichte weg, und bleiben
Auf ewig zu der schwarzen Nacht gesellt.


Oberon.

Doch wir sind Geister einer andern Art,
Oft hab' ich mit dem Morgenlicht gescherzt,
[32] Und kann den Wald so lange wie ein Jäger
Durchtraben, bis des Himmels Pfort' in Osten,
Ganz feuerroth sich gegen den Neptun
Mit weit umher ergoßnen Strahlen öffnet,
Und seine grünen Ströhm' in Gold verwandelt.

Im Hamlet sagt der Geist:

O wäre mir es nicht verboten, das
Geheimniß meines Kerkers zu entdecken,
Ich könnte eine Schilderung beginnen,
Die mit dem kleinsten Worte deine Seele
Zermalmte, daß dein junges Blut erstarrte;
Daß deine beiden Augen, Sternen ähnlich,
Aus ihren Höhlen sprängen, daß sich trennten
Die dichten, krausen Locken, jedes Haar
Sich aufwärts sträubte, wie die Stacheln des
Ergrimmten Igels. — Aber diese Räthsel
Der Ewigkeit gehören nicht für Ohren
Von Fleisch und Blut.

Und in dieser grauenvollen Dämmerung läßt der Dichter auch alle seine übernatürlichen Wesen in der Tragödie.

Die Geister der Tragödie treten nur auf, um die tragische Wirkung auf das höchste zu bringen. Im Hamlet erreicht die Scene zwischen ihm und seiner Mutter einen hohen Grad des Pathetischen, als der Geist eintritt, und der Scene einen neuen, noch kühnern Schwung giebt. Durch Hamlets Erstaunen, Schaudern und Zittern im ersten Akt, durch Macbeths Leidenschaft, die an Wahnsinn gränzt, indem er den Geist Banquo's erblickt, hiedurch läßt uns der Dichter gar keinen Zweifel [33] an der Existenz der Geister selbst übrig, indem sich die Empfindung Macbeths und Hamlets dem Zuschauer mittheilt: der Schreck ist es hier, so wie das Räthselhafte und Unbegreifliche des Hexenkessels, was uns mit Grausen erfüllt, und uns auf die lebendigste Art täuscht.

Alles Unbegreifliche, alles, wo wir eine Wirkung ohne eine Ursache wahrnehmen, ist es vorzüglich, was uns mit Schrecken und Grauen erfüllt: — ein Schatten, von dem wir keinen Körper sehen, eine Hand, die aus der Mauer tritt, und unverständliche Charaktere an die Wand schreibt, ein unbekanntes Wesen, das plötzlich vor mir steht, und eben so plötzlich wieder verschwindet. Die Seele erstarrt bei diesen fremdartigen Erscheinungen, die allen ihren bisherigen Erfahrungen widersprechen; die Phantasie durchläuft in einer wunderbaren Schnelligkeit tausend und tausend Gegenstände, um endlich die Ursache der unbegreiflichen Wirkung herauszubringen, sie findet keine befriedigende, und kehrt noch ermüdeter zum Gegenstande des Schreckens selbst zurück. Auf diese Art entsteht der Schauder, und jenes heimliche Grausen, das uns im Macbeth und Hamlet befällt: ein Schauder, den ich einen Schwindel der Seele nennen möchte, so wie der körperliche Schwindel durch eine schnelle Betrachtung von vielen Gegenständen entstehen kann, indem das Auge auf keinem verweilt und ausruht. — Wären wir mit Hamlets oder Banquo's Geist so vertraut wie mit Ariel oder Caliban, so würden sie uns wenig erschrecken; nur in dem Dunkel, womit der Dichter hier seine wunderbare Welt umhüllt, liegt das Furchtbare, und indem er es mit den höchsten Ausbrüchen der Leidenschaft in Verbindung bringt, erregt er das Erschütternde. — Daher ist die Geistererscheinung im Cäsar nicht so fürchterlich als die im Macbeth, weil Brutus hier nicht mit jenem [34] Entsetzen Macbeths spricht; aber der Dichter wollte hier auch nur eine bange Ahndung für seinen Haupthelden erregen, keinen hohen tragischen Schreck. — Die Geister in Richard III. sind nur Vorboten seines Unterganges, nur Herolde seines Elends; aber sie sind nicht, wie Banquo's Geist dem Macbeth, das sinnlich dargestellte Elend und Entsetzen Richards.

2.

Das Wunderbare muß auch hier auf irgend eine Art vorbereitet werden.

Aber auch in der Tragödie wendet Shakspeare fast immer einige Kunst an, um seine übernatürlichen Wesen vorzubereiten. Wenn das Furchtbare dieser fremdartigen Erscheinungen in dem Dunkeln, Rätselhaften und Unbegreiflichen besteht, so kann dies, wenn es zu plötzlich, zu unvermuthet eintritt, schwerlich anders als durch einen plötzlichen Schreck wirken, der alle übrigen Ideen und Empfindungen verschlingt; oder es ist ganz ohne Wirkung. Der dramatische Dichter muß sich überhaupt hüten, das Schreckliche nicht ohne alle Vorbereitung eintreten zu lassen, und es überhaupt nicht zu seltsam, zu räthselhaft zu machen, so daß es zu sehr allen unsern Begriffen widerspricht; denn sonst fällt er leicht ins Abgeschmackte und Kindische. Dahin gehört die plötzliche redende Bildsäule im Festin de Pierre.

In einem Stücke, das vor Shakspeare geschrieben ward, The Spanish Tragedy, wird die Handlung mit einem Geist eröffnet, der mit der Rache auftritt: diese Erscheinung wirkt nicht, weil wir sie nicht erwarteten, und ihre Bedeutung überhaupt nicht wissen. Shakspeare [35]hätte auch vielleicht seinen Macbeth schicklicher, als mit einer Hexenscene eröffnen können: wir verstehen diese fremdartigen Wesen gar nicht, die wir so unvermuthet, und ohne Vorbereitung vor uns sehen; sie sind uns auch nicht im Anfange, sondern erst nachher furchtbar. — Sonst bemüht sich Shakspeare jedesmal, den Zuschauer auf irgend eine Art auf seine Erscheinungen vorzubereiten, oft unmittelbar durch einen einzigen Zug, den er nicht schöner wählen konnte. Auf die schönste Art in allen seinen Schauspielen thut er dies im Hamlet. Horatio tritt bald nach der Eröffnung des Stücks auf; Bernardo und Marcellus haben ihm von einer Erscheinung gesagt, die sie mehrere Nächte hintereinander gesehen haben. Horatio ist ungläubig. Sie setzen sich, und Bernardo will ihm noch einmal die Begebenheit erzählen, und sagt:

Als eben jener Stern, der westlich vom
Polarstern ist, an jene Stelle kam,
Wo er am Firmament itzt funkelt, sahen
Marcellus und ich selbst, als eben Eins
Die Klocke schlug. —
Marcellus. Still! sieh, dort kommt es wieder.

Nun tritt der Geist auf: wir haben schon vorher von ihm sprechen hören, aber durch diese einzige wunderbare Bestimmung werden wir für das Wunderbare selbst empfänglich gemacht, wir fühlen uns plötzlich in eine fremde Welt entrückt, und betrachten nun mit einem stummen Schreck einen unbekannten Bewohner jener Gegenden. Horatio beschwört den Geist, er entfernt sich wieder. Nachdem sich alle von ihrem Schrecke erholt haben, fängt Horatio an, aus dieser Erscheinung unglückliche Vorbedeutungen [36] für Dännemark zu weissagen, dadurch gewinnt die Erscheinung selbst an Würde, und unsre Furcht wird vermehrt: der Geist tritt von neuem auf, — Horatio's Beschwörung, die plötzliche Verschwindung des Geistes, indem der Hahn kräht, vermehrt hier das fürchterlich Wunderbare außerordentlich. Hamlet wird von dieser Erscheinung benachrichtigt, er begleitet seinen Freund auf die Wache, unsre Erwartung ist gespannt, das Gespennst tritt auf, und bei der höchst pathetischen Beschwörung Hamlets, bei dem stummen Winken des Geistes, und der Leidenschaft des Prinzen, erreicht unser Schauder den höchsten Grad: indem das Gespennst anfängt zu sprechen, verliert es zwar etwas von seiner Furchtbarkeit, weil hier sogleich etwas von dem Räthselhaften in der Erscheinung verschwindet; die Worte des Geistes aber, und seine Art sich auszudrücken, lassen uns nie ganz aus unserm Erstarren zurückkommen. Alle diese Scenen sind mit bewundernswürdiger Kunst gedichtet: der Geist im Hamlet hält von allen, die Shakspeare darstellt, dem Auge am längsten Stand; er mußte hier sein ganzes Genie aufbieten, wenn dieser Geist durch dies lange Verweilen nicht seine täuschende Kraft verlieren sollte. Im dritten Akt erscheint er ohne diese Vorbereitung, sie ist hier aber auch unnöthig, weil wir ihn schon kennen: Hamlets Pathos, und sein plötzliches Eintreten machen die Scene demohngeachtet sehr furchtbar, und die hohe Leidenschaft des Prinzen vornehmlich präparirt schon das Gemüth des Zuschauers, durch sich selbst auf diese wundervolle Erscheinung. Im Macbeth sehen wir Banquo's Ermordung, Macbeth spricht von ihm bei der Tafel, er heuchelt eine Besorgniß und Ängstlichkeit für seinen Freund: selbst dadurch werden wir für die Erscheinung Banquo's vorbereitet, — sie erschreckt uns, aber es ist ein Schreck, [37] dem eine dunkle, ängstliche Furcht voraus gieng. Hätte uns der Dichter nichts um Banquo's Ermordung wissen, und dann den Geist plötzlich eintreten lassen, um uns noch heftiger zu erschüttern, so würde er seinen Zweck sehr verfehlt haben, das Gespennst wäre uns zu unbegreiflich und räthselhaft gewesen, um einen bleibenden Eindruck hervorzubringen. — Die Geistererscheinung im Cäsar wird durch Musik vorbereitet, und Brutus sagt plötzlich, indem er sich zum Lesen niedersetzt: »Wie matt die Kerze brennt!« Indem bemerkt er den Geist: es ist Nacht, nur eine Kerze brennt vor Brutus. Man glaubte, daß die Gegenwart der Geister sich vorzüglich an den Lichtern äußerte; daher auch die Bemerkung Richards, als er von seinem Traum auffährt, daß die Lichter blau brennen. Im Cäsar setzt auch Shakspeare die Empfindung des Wunderbaren noch durch die kleine Scene fort, in welcher Brutus seine Leute weckt; eben diese Empfindung wird durch Richards Monolog nach den Erscheinungen der Geister fortgesetzt, weil hier sonst das Wunderbare zu isolirt stehen würde. Diese Uebergänge sind der Täuschung wegen nothwendig, vorzüglich im Cäsar und Richard, weil hier übernatürliche Wesen nur ein einziges mal auftreten, und dann wieder verschwinden. [3]

3.

[38]

Der Dichter läßt für das Wunderbare fast immer eine natürliche Erklärung übrig.

Um nicht zu weitläufig zu werden, will ich itzt mit einer Bemerkung schließen, die sich fast auf alles dargestellte Wunderbare des großen Dichters, auch im Sturm und Sommernachtstraum, bezieht. Kein Dichter hat vielleicht in diese veredelte Mährchen des Volks zugleich einen so großen und tiefen Sinn gelegt, als Shakspeare. — Noch kein Kritiker hat im Charakter des Hamlet den so hervorstechenden Zug der Frömmeley bemerkt, womit sein Hang zum Grübeln, und seine beständige Zweifelsucht genau zusammenhängen. Die Einleitung des Stücks konnte daher nicht schicklicher und zugleich grauenhafter, dem Stück und vorzüglich dem Charakter Hamlets angemessener, gewählt werden. Ein Jüngling, der unaufhörlich in dunkeln, trüben Empfindungen lebt, der an allen Gegenständen nur die traurige Seite aufsucht, um sich selbst damit zu quälen, dieser wird durch eine Geistererscheinung aus seiner melancholischen Trägheit gerissen, und zum Handeln aufgefordert; seine glühende Phantasie und sein Hang zum Aberglauben kommen der Erscheinung gleichsam entgegen; einem Brutus oder Cäsar gegenüber gestellt, verliert die Erscheinung fast alles von ihrer Schönheit. Die Hexen, ihre Prophezeihungen und ihre Art zu wirken, passen eben so gut in das Kolorit Macbeths. Dort wird ein Sohn vom Geist seines Vaters zur Rache aufgefordert; hier ein Feldherr von höllischen Unholden zum Morde seines Königs und seiner Freunde. Der Charakter Macbeths ist härter, rauher [39] und kriegerischer; die That selbst zu der er verleitet wird, steht eben so schön den noch grauenhafteren und wilderen Hexenphantomen gegenüber, als der weichere Charakter Hamlets dem Geiste seines Vaters: man kann hier keine Veränderung der Personen vornehmen, und z. B. einen Othello mit den Hexen zusammenstellen, ohne dem Dichter sehr viel von seinen Schönheiten zu rauben.

Shakspeare vermeidet es gern, daß Gespenster von mehr als einer Person gesehen werden, und darin besteht vielleicht die gröste Schönheit seiner Geistererscheinungen, denn er legt dadurch in diese eine Art von allegorischem Sinn, der sie für den Verstand und die Phantasie gleich interessant macht; diese Allegorie ist aber von der oben getadelten ganz verschieden. Er personificirt allerdings Affekte oder Ideen, aber er läßt sie unter einem Gewande auftreten, unter welchem man sie nur nach langer Prüfung entdeckt: der Leser muß sie erst suchen, sie verbergen sich lange vor ihm. Vielleicht daß Shakspeare selbst durch die damals in den Schauspielen so gewöhnlichen allegorischen Personen auf diese Art der Darstellung geführt ward; nur daß sein Genie allem, was es von außen empfing, eine schöne und vollendete Gestalt gab. Statt der kalten Allegorien, in welchen eine abstrakte Idee als Person eingeführt wird, wie Tugenden oder Laster, personificirte er die höchsten Leidenschaften, den Seelenzustand, in welchem das Gemüth beunruhigt, und die Phantasie auf einen hohen Grad erhitzt ist. In einer solchen Stimmung, wenn das Herz von Gewissensbissen gefoltert, oder von der Reue gequält wird, glaubt der geängstiqte Verbrecher die ganze Natur gegen sich empört, er sieht allenthalben Gestalten, die ihn erschrecken, in seinen Träumen sieht er Gespenster, die ihm seinen Untergang drohen. — In der Zeichnung solcher Charaktere [40] zeigt sich nun Shakspeare als ächter dramatischer Dichter, der alles dem Auge vorführt, und den Zuschauer alles selber sehen läßt. Statt das Weiße in einem Monologe seinen Richard Geister sehen läßt, die der Zuschauer nicht sieht, läßt Shakspeare wirklich alle die Geister der von Richard Ermordeten auftreten, und ihm seinen Untergang verkündigen. Macbeth wird vom Geiste Banquo's bis in sein Gemach verfolgt, er sitzt an seiner Tafel und erfüllt ihn mit Schauder und Entsetzen, als er eben anfangen will, den Genuß seiner neuen Würde zu empfinden. — Hier sind Richard's Angst und Macbeth's Elend dem Auge auf die fürchterlichste Art dargestellt; dies wirkt mehr, als wenn wir Macbeth unaufhörlich sein Unglück beklagen hörten. Hamlet ist im Begriff, in der Wuth gegen seinen Oheim, die Schonung seiner Mutter zu vergessen, plötzlich aber fällt ihm sein Vorsatz ein: »zwar Dolche mit ihr zu sprechen, aber keinen zu gebrauchen.« Diese plötzliche Idee in der höchsten Wuth, im ganzen Feuer der Leidenschaft, hat der Dichter auf die schönste Art sinnlich dargestellt, indem er plötzlich den Geist des Vaters aus der Wand treten läßt. Dadurch wird der Uebergang nicht nur natürlicher, sondern der Zuschauer wird dadurch in die Seele des Prinzen gleichsam hineingeführt, und das Magische und Uebernatürliche macht den Eindruck bleibend und unvergänglich [4].

[41]

In dieser Art der Darstellung liegt zugleich eine andre Schönheit, die auf die Phantasie vielleicht am meisten wirkt, und die Ursache ist, daß Shakspeare's Geister, auch oft gesehen, immer noch erschüttern, und die Phantasie nicht in der kalten Ruhe lassen, mit der man die Geister in einigen Französischen Tragödien und neueren deutschen Stücken auftreten sieht. Macbeth allein sieht Banquo's Geist; eben so nimmt Hamlets Mutter ihren vergifteten Gemahl nicht wahr; sie glaubt, die Erscheinung sey nur eine Geburt der erhitzten Phantasie ihres Sohns; eben dies glauben auch die Freunde Macbeths: — der Zuschauer findet ihren Glauben sehr natürlich, aber der Dichter stellt ihn gleichsam über diese Aufklärung, er sieht ihren Unglauben in ihren verschlossenen Augen gegründet, sie sind blind für das, was der Zuschauer und Macbeth sehen. Eben so sieht der Zuschauer das wirklich, was Richard nachher seinen Traum nennt; er wird durch diese Darstellungsart in eine höhere Welt verseht, wo [42] er alles übersieht, und jeden Irrthum der dargestellten Personen wahrnimmt. Wäre Macbeths oder Richards Gewissensangst so dargestellt, wie sie Weiße in dem oben angeführten Monolog schildert, so hinge gleichsam ein Vorhang zwischen dem Zuschauer und der Seele des dargestellten Charakters; man würde stets die Gespenster suchen, die Richard zu sehen glaubt. Dieser Monolog kann sich daher nie an Kraft den wirklichen Shakspeareschen Geistern nähern.

Fast immer hat Shakspeare auch, um in die Phantasie keine Unterbrechung fallen zu lassen, dafür gesorgt, daß alle seine Übernatürlichkeiten sich von den Personen im Schauspiele können natürlich erklären lassen. So im Macbeth und Hamlet: beyde müssen am Ende selbst an den Erscheinungen zweifeln, da sie keinen andern Bürgen, als sich selbst, für ihre Wahrheit haben. Dasselbe findet bey Richards Traum statt; und auch bey dem Geiste, den Brutus in seinem Zelte sieht, — eine Scene, die Shakspeare so psychologisch richtig gezeichnet hat, um eben diese Wirkung durch das Wunderbare hervorzubringen. Brutus läßt einen seiner Sklaven auf der Laute spielen, dieser aber schläft bald, so wie die übrigen, ein; in der nächtlichen Stille setzt er sich zum Lesen nieder, — eine Gestalt tritt ein, Brutus erschrickt, — der Geist verschwindet in eben dem Augenblicke, da Brutus wieder kalt geworden ist. Hier ist die Erscheinung fast nur eine sichtbar dargestellte böse Ahndung; der Held ist schwach und abergläubisch, indem er sich dieser Ahndung überläßt; sie verschwindet, indem er seine Kräfte wieder sammelt. — Alle Begebenheiten des Sommernachtstraums erscheinen den handelnden Personen nachher als eine Traumgestalt, [43] und der Dichter hat sehr künstlich dafür gesorgt, daß kein Vorfall zu isolirt stehen bliebe, an dem sie nachher ihre Erinnerungen knüpfen und ordnen könnten. Wenn Prospero seine Tochter durch seine magische Kunst einschlafen läßt, so sagt sie nachher beym Erwachen, seine traurige Erzählung habe sie so schläfrig gemacht; sie findet hier auch eine natürliche Erklärung ihres Schlafs, dessen Ursache der Zuschauer aber besser weiß. Eben so wird Gonzalo im zweiten Akt aus dem Schlafe geweckt, indem ihn Anthonio ermorden will: er hält einen Traum für die Ursache seines Erwachens, aber der Zuschauer hat Ariel gesehen, der ihn auf Prospero's Geheiß weckte.

Die Anlage des Sturms, so wie des Macbeth und Hamlet, machte es freylich dem Dichter unmöglich, alle Erscheinungen auf diese Art auftreten zu lassen. Hamlet würde die Erscheinung seines Vaters bald nur für einen Traum gehalten haben, Macbeth die sonderbare Prophezeihung nur für ein Hirngespinnst, wenn sie in dem Zeugnisse ihrer Freunde nicht ein Unterpfand für ihre Wahrheit gehabt hätten. Prospero kann seine Wirkungen vor den übrigen Personen unmöglich verbergen, ob sie gleich das Ungewitter, so wie mehrere andre durch ihn veranlaßte Vorfälle, für natürliche Ereignisse halten; aber er straft seine Feinde durch seine Zauberkunst, — er mußte sich ihnen als Zauberer zu erkennen geben, wenn Shakspeare nicht tausend Unnatürlichkeiten einer Schönheit zum Opfer bringen wollte.

[44]

Ich gebe diesen Aufsatz als eine Probe einer größern Arbeit über Shakspeare: ich wünschte das Urtheil der Freunde dieses großen Dichters hierüber zu erfahren. Ich habe mehrere Anmerkungen über den Sturm niedergeschrieben und versucht, den Leser in einen Gesichtspunkt zu stellen, wo er nach meiner Meinung das Genie Shakspeare's am richtigsten faßt; jenen Anmerkungen habe ich daher folgende größere Aufsätze angehängt:

1) Kurze Geschichte des Englischen Theaters bis auf Shakspeare.

2) Zustand der Bühne, vor, und zu seiner Zeit.

3) Ueber die drey Einheiten des Drama's.

4) Ueber Shakspeare's Vorzüge und Fehler.

5) Ueber den Unterschied der Tragödie und des Schauspiels.

6) Ueber den Sturm im Allgemeinen.

7) Ueber Shakspeare's Behandlung des Wunderbaren.

8) Ueber Shakspeare's Zeichnung der Bösewichter.

9) Ueber die Charaktere im Sturm.

10) Vergleichung des Sturms und Sommernachtstraums.

11) Ueber die Nachahmung des Sturms in der Sea-Voyage, einem Schauspiele von Beaumont und Fletcher.

12) Ueber Drydens Umarbeitung des Sturms.



Der Sturm.

Schauspiel in fünf Aufzügen

[1]

nach

Shakspeare.



Personen:

[2]

Alonso, König von Neapel.
Sebastian, sein Bruder.
Prospero, rechtmäßiger Herzog von Mayland.
Anthonio, sein Bruder, und unrechtmäßiger Herzog von Mayland.
Ferdinand, Sohn des Königs von Neapel.
Gonzalo, Rath des Königs von Neapel.
Adrian,    } Hofleute.
Francesco,}
Caliban, ein wilder, mißgeschaffner Sklave.
Trinkulo, ein Narr.
Stephano, Kellermeister.
Schiffspatron.
Bootsmann.
Matrosen.
Miranda, Prospero's Tochter.
Ariel, ein Geist.
Mehrere Geister.




Erster Aufzug.

[3]

Erste Scene.

(Die See im heftigen Sturm, der während dieser Scene immer zunimmt. Blitz und Donner. Ein großes Schiff erscheint, das schon vom Sturme gelitten hat. Die Matrosen in voller Arbeit; ein unordentliches Geschrei und Geräusch durcheinander, durch welches man die Pfeife des Patrons hört.)

(Ein Bootsmann tritt auf, und arbeitet am Tauwerke des Schiffes.)

Schiffspatron. (hinter der Scene) Bootsmann!

Bootsmann. Hier, Patron! —

Patron. Wie steht's?

Bootsm. Gut. — (zu den Matrosen draußen) Rührt die Fäuste, oder wir gehen zu Grunde!

Patron. Munter! munter! (geht fort).

(Matrosen kommen.)

Bootsm. Mutter, Kinder! — Lustig, lustig, Kinder! — Rührt euch, Bursche! — Ziehts Brahmseegel ein! — Paßt auf Patrons Pfeifchen! — Nun so blase du und der Teufel![4]

(Sebastian, Anthonio und Gonzalo kommen.)

Gonzalo. Sey achtsam, guter Freund! — Wo ist der Patron? — Haltet euch wie Männer!

Bootsm. Bitt' euch, bleibt unten!

Anth. Wo ist der Patron, Bootsmann?

Bootsm. Hört Ihr denn nicht? — Ihr seyd uns hier im Wege; bleibt in Eurer Kajüte! Ihr helft dem Sturm!

Gonz. Nur ruhig, guter Mann.

Bootsm. Wenn's die See ist. — Fort! in Eure Kajüte! Sitzt still und stört uns nicht.

Gonz. Gut, aber vergiß nie, wen du am Bord hast.

Bootsm. Keinen, der mich näher angeht, als ich. — Was fragen die Rebellen da unten nach dem Namen eines Königs? — Ihr seyd Rath, könnt Ihr die Elemente zum Schweigen bringen, und alles ins Gleiche richten, gut, so wollen wir kein Tau mehr anrühren; braucht doch mal Eure Autorität!— Gehts nicht, so seyd froh, daß Ihr so lange gelebt habt; huckt Euch in der Kajüte zusammen, und macht Euch zum Abfahren fertig! — Hurtig, Bursche! — Aus dem Wege da, sag' ich! — (Er geht trotzig ab.)

Gonz. Der Kerl ist noch mein Trost. — Er sieht nicht aus, als wenn er ersaufen würde, denn er hat eine ächte Galgenphysiognomie. — Soll er ge[5]hängt werden, liebes Schicksal, so bleib bei deinem Entschlusse! — (Sie gehen ab.)

(Der Bootsmann kommt wieder.)

Bootsm. Mit dem Brahmsteng 'runter! Frisch! 'runter! — noch mehr! - Laßt das Schönfahrseegel treiben! — (Geschrei hinter der Bühne) Die Pest, über das verfluchte Geheul! — Sie sind lauter, als das Wetter und wir.

(Sebastian, Anthonio und Gonzalo kommen wieder.)

Bootsm. Schon wieder da? Was wollt Ihr? Sollen wir alles liegen lassen, und ersaufen? Habt Ihr Lust unterzugehn? he?

Sebastian. Hol' Dich der Satan! Du bellender, unbarmherziger Hund!

Bootsm. Nun so scheert Euch fort!

Anth. An den Galgen, du Schlingel! du unverschämter Schreyhals! Wir fürchten uns vor dem Ersaufen weniger, als du.

Bootsm. Unter den Wind mit dem Schiff! — Die beiden Seegel angespannt! — Wieder in See!

(Matrosen kommen, von Wasser triefend.)

Matrosen. Alles aus! — Betet! betet! — Alles aus! — (sie gehen ab.)

Bootsm. Was? Müssen wir uns das Maul doch kalt machen?[6]

Gonz. Der König und der Prinz beten, wir wollen zu ihnen, denn unser Schicksal ist wie das ihrige.

Sebast. Ich möchte rasend werden.

Anth. Von besoffenen Schurken sind wir um unser Leben geprellt! — Dieser großmäuligte Spitzbube hier, — o, lägst du doch in der Tiefe, zehnmal von der Fluth abgespült!

(Ein lautes Geschrey hinter der Scene.)

Gonz. Gott steh' uns bey!

(Stimmen hinter der Bühne.)

Wir scheitern! wir scheitern!

Andre Stimmen. Lebt wohl, Weib und Kinder.

Andre. Lebe wohl, Bruder!

Andre. Weh! wir scheitern! scheitern! (Alles dies fast zu gleicher Zeit.)

Anthon. Laß uns mit dem Könige sinken!

(Geht ab.)

Sebast. Wollen Abschied von ihm nehmen.

(ihm nach.)

Gonz. Jetzt gäb' ich von Herzen tausend Quadratmeilen See für eine Hufe dürren Boden. — Der Wille des Himmels geschehe! doch möcht' ich lieber eines trocknen Todes sterben! (Er geht ab.)

(Der Sturm dauert fort; — das Schiff wird vom Winde fortgetrieben.)



Zweite Scene.

[7]

(Ein Theil einer Insel; auf der Seite eine kleine Hütte, im Hintergrunde das Meer: — Prospero und Miranda treten auf; Prospero in einem langen, magischen Gewande, mit Charakteren bezeichnet, er trägt einen Stab in der Hand. Der Sturm dauert noch etwas im Anfange der Scene fort.)

Miranda. O, lieber Vater, wenn es durch deine Kunst geschah, daß die wilde Fluth in diesen Aufruhr kam, so besänftige sie auch wieder. — Ein brennender Schwefelregen wollte sich vom Himmel herabgießen, nur die See schäumte bis hoch in die Wolken hinein, und schlug das Feuer wieder aus. — Ach, wie sehr hab' ich mit den Leidenden gelitten! — Ein schönes Schiff, das auch gewiß einige edle Menschen trug, in tausend Stücken zertrümmert! - Ach, wie schnitt ihr Geschrei mitten durch mein Herz! — Die armen Seelen, — sie sanken unter. — O, hätte ich die Macht eines Gottes gehabt, ich hätte lieber die ganze See tief in die Erde hineingesenkt, ehe sie so das gute Schiff hätte verschlingen sollen, und alle die jammernden Seelen mit ihm.

Prospero. Sey ruhig. Sage deinem mitleidigen Herzen: es ist kein Unglück geschehen.

Mir. O, schrecklicher Tag! Kein Unglück?

Prosp. Alles, was ich that, that ich nur aus Liebe für dich, meine geliebte, meine einzige Tochter, die du nicht weißt, wer du bist, und wer dein un[8]glücklicher Vater ist; daß er etwas mehr ist, als Prospero, der Eigenthümer dieser armseligen Hütte.

Mir. Es ist mir nie eingefallen, mehr zu erfahren.

Prosp. Ich muß dir mehr entdecken. — Hilf mir dies magische Gewand ablegen. — (Er legt mit Miranda's Hülfe seinen Mantel ab.) Nun trockne deine Augen und beruhige dich. — Dies fürchterliche Schauspiel des Schiffbruchs, welches dein innerstes Herz so tief bewegt hat, hab' ich durch meine Kunst so vorsichtig angeordnet, daß kein Geschöpf, ja kein Haar der Geschöpfe, die du schreyen hörtest, die du sinken sahest, verletzt ist. — Setz' dich nieder, denn du mußt jezt mehr erfahren.

Mir. Du fingst schon oft an, mir zu erzählen, wer ich sey, aber immer sagtest du: halt, noch nicht! — brachst ab, und überließest mich einem fruchtlosen Nachsinnen.

Prosp. Aber jezt ist die Stunde gekommen, ja dieser Augenblick befiehlt dir, dein Ohr zu öffnen. Gehorch' und merke auf. — Kannst du dich einer Zelt erinnern, ehe wir in dieser Hütte lebten? — Ich glaube nicht, denn du warst damals kaum drey Jahr alt.

Mir. Und doch, Vater.

Prosp. Wobey? Bey einem andern Hause oder Menschen? — Sage mir, welch Bild dein Gedächtniß so lange aufbewahrt hat.[9]

Mir. Ach, es liegt weit weg, es ist mehr wie ein Traum, als wie eine deutliche Erinnerung. — Hatt' ich nicht einmal vier oder fünf Frauen, die mir aufwarteten?

Prosp. Du hattest sie, Miranda, und mehr. Aber wie ist dies noch in deiner Seele so lebendig? Was siehst du sonst noch in dem dunkeln, tiefen Hintergrund der Vergangenheit? Wenn du dich einer Zeit erinnern kannst, ehe du hier warst, so weißt du auch vielleicht, auf welche Art du hieher kamst.

Mir. Nein, das weiß ich doch nicht.

Prosp. Zwölf Jahre sind nun verflossen, Miranda, zwölf Jahre, als dein Vater Herzog von Mayland und ein angesehener Fürst war.

Mir. Bist du denn nicht mein Vater?

Prosp. Ich bin es, und du warst Fürstinn, und die einzige Erbinn meines Herzogthums.

Mir. O, Himmel! welch Unglück vertrieb uns denn von dort? — Oder war es vielleicht unser Glück?

Prosp. Beydes, beydes, mein Kind. Ein Unglück trieb uns dort weg, und ein Glück führte uns hieher.

Mir. O mein Herz blutet! Wie vielen Gram muß ich dir damals gemacht haben, dessen ich mich jetzt nicht einmal erinnern kann. Fahre fort, mein Vater. — (Miranda ist auf Prospero's Erzählung sehr aufmerksam, außer daß sie zuweilen nach dem Meere hinsieht, um etwas von dem Schiffe zu entdecken.)[10]

Prosp. Mein Bruder und dein Oheim, Anthonio, — ich bitte dich, merk' auf; wie treulos ein Bruder seyn konnte, — er, den ich nach dir in der ganzen Welt am meisten liebte, so, daß ich ihm gänzlich die Regierung meines Staats übertrug. Mayland war damals unter allen Staaten der mächtigste, und Prospero der angesehenste Herzog; eben so war ich in den Wissenschaften der Erste, und da diese ganz allein meine Beschäftigung ausmachten, so übergab ich die Regierung meinem Bruder, und ward ein Fremdling in meinem eigenen Lande. — Dein falscher Oheim — hörst du mich auch?

Mir. Sehr aufmerksam, mein Vater.

Prosp. Da er nun eingelernt war, wie er Gesuche bewilligen, und wie er sie abschlagen sollte, wen er befördern, und wessen üppigen Wuchs er beschneiden mußte, so verwandelte er bald alle meine Geschöpfe in die seinigen. Er ward ein Epheu, der meinen fürstlichen Stamm umschlang, und sein Mark aussaugte. — Aber du giebst nicht Acht.

Mir. O ja, lieber Vater.

Prosp. Ich bitte dich, merke auf. — Ich ergab mich also ganz der Einsamkeit und der Beschäftigung meines Geistes, und bekümmerte mich um nichts, was die übrigen Menschen trieben: aber eben dadurch erwachte ein böser Geist in meinem Bruder. Er war Herr meiner Einkünfte und meiner Macht, — und wie ein Mensch durch öfteres Erzäh[11]len derselben Lügen aus seinem Gedächtnisse einen solchen Sünder machen kann, daß er selbst seine Lüge glaubt, — so glaubte auch mein Bruder am Ende, er sey wirklicher Herzog. Daher wuchs sein Ehrgeiz — hörst du mir auch zu?

Mir. Deine Erzählung, Vater, könnte die Taubheit heilen. -

Prosp. Um allen Unterschied zwischen der Rolle die er spielte, und dem für den er sie spielte, aufzuheben, wollte er durchaus selbst Herzog von Mayland werden. Mir armen Manne war ja mein Bücherschrank Herzogthums genug; ein weltliches Fürstenthum zu verwalten, glaubte er mich unfähig. — Er versprach also dem Könige von Neapel, — so sehr dürstete er nach Herrschaft, — einen jährlichen Tribut, und zugleich, sein Vasall zu werden, den Fürstenhut seiner Krone zu unterwerfen, und das freie Herzogthum, (o armes Mayland!) zur schimpflichen Knechtschaft zu erniedrigen.

Mir. Himmel!

Prosp. Nun höre die Bedingung und den Ausgang, und dann sage, ob das ein Bruder that. — Der König von Neapel, mein alter Feind, nahm meines Bruders Antrag an: Dieser Antrag war, mich und meine Tochter, für die Anerkennung der Lehnsherrschaft, und, ich weiß nicht wie vielen Tribut, sogleich aus dem Herzogthume zu vertreiben, und ihn mit dem schönen Mayland und meiner Würde zu[12] belehnen. — Zu diesem Vorhaben brach in einer Mitternacht eine verrätherische Rotte auf, Anthonio öffnete ihnen die Thore von Mayland, und seine Buben schleppten mich und dich in der todten Dunkelheit, so sehr du auch schriest, hinweg. —

Mir. O Rettung! Barmherzigkeit! — Ich weiß nicht mehr wie ich damals schrie, und muß jetzt von neuem weinen; die bloße Vorstellung zwingt meinen Augen diese Thränen ab.

Prosp. Höre weiter, dann sollst du erfahren, was jetzt für uns zu thun ist, denn sonst wäre diese Geschichte sehr unnütz.

Mir. Warum brachten sie uns aber damals nicht um?

Prosp. Gut gefragt, Mädchen; meine Erzählung veranlaßt diese Frage. — Das Volk, mein Kind, liebte mich so sehr, daß sie es nicht wagten, ihrer Bosheit einen blutigen Stempel aufzudrücken, sondern sie übertünchten ihre Niederträchtigkeit mit schönern Farben. — Sie schleppten uns auf eine Barke, und trieben einige Meilen in die See hinein: dort setzten sie ein Boot aus, ein verwestes Gerippe, ohne Tau, Mast und Seegel, selbst die Ratten hatten es aus Instinkt verlassen; dort warfen sie uns hinein, der See entgegen zu jammern, die uns mit Brausen antwortete, den Winden entgegen zuseufzen, die in unsre Klage heulten, und unserm Jammer durch ihr Mitleid mehrten.[13]

Mir. Ach, wie muß ich deinen Kummer damals vermehrt haben!

Prosp. O ein Cherub warst du, der mich beschützte. — Als ich unter der Bürde ächzte, und schwere, salzige Thränen in die See fielen, — da lächeltest du, und wie ein Muth vom Himmel herab sprach mich dein Lächeln an, — ich beschloß nun alles zu tragen, was da kommen würde.

Mir. Wie kamen wir denn ans Land?

Prosp. Durch göttliche Vorsicht. — Wir hatten Speise und etwas frisches Wasser, das uns Gonzalo, ein Edler aus Neapel, aus Barmherzigkeit gegeben hatte; ihn hatte man zum Anführer der boshaften Schaar ernannt. Er gab uns auch zugleich reiche Kleider, Wäsche und andre Nothwendigkeiten, die uns seitdem gute Dienste gethan haben: er wußte, wie sehr ich meine Bücher liebte, und seine Menschenfreundlichkeit verschaffte mir einige davon, die ich weit höher achte, als mein Herzogthum.

Mir. Wenn ich doch diesen Mann einmal sehn könnte!

Prosp. Wir landeten auf dieser Insel, und hier hast du aus meinem Unterrichte mehr gelernt, als andre Fürstentöchter können, die zwar mehr müßige Stunden, aber keinen so sorgfältigen Erzieher haben.

Mir. Der Himmel mag es dir vergelten! — Aber jetzt bitt' ich dich, mein Vater, denn mein Herz[14] ist noch immer nicht beruhigt, warum hast du diesen Sturm erregt?

Prosp. So erfahre denn: — durch einen seltsamen Zufall hat das Glück, das mir jetzt wieder lächelt, meine Feinde an dies Gestade geführt. Durch meine Kunst hab' ich erforscht, daß ein günstiger Stern in meinem Zenith steht; benutz' ich seinen Einfluß nicht, sondern lasse ihn entschlüpfen, so ist mein Glück nachher auf ewig untergegangen. — Hier höre auf, zu fragen. Du bist schläfrig: es ist eine heilsame Müdigkeit, gieb ihr nach, — ich weiß, du kannst nicht anders. — (Miranda ist eingeschlafen.) Herbey, mein Diener, herbey! jetzt bin ich fertig. — Nahe, mein Ariel, komm!

(Einige Töne, die Ariel ankündigen.)

(Ariel tritt auf.)

Ariel.

Heil dir, mein großer Meister!
Ehrwürdiger Beherrscher, sey gegrüßt! —
Ich komme auszuführen dein Gebot:
Es sey zu fliegen, oder zu schwimmen, mich
In Flammen zu tauchen, auf den krausen Wolken
Zu fahren: deinem ernsten Willen
Dient Ariel und seine Geisterkraft.

Prosp. Hast du, Geist, den Sturm genau so ausgeführt, wie ich dir befahl?[15]

Ariel.

Bis auf den kleinsten Umstand.
Ich flog zum Schiff des Königs, und flammte
Entsetzen rings umher, jetzt in den Raum,
Auf das Verdeck, in jegliche Kajüte.
Ich schwärmt' oft in getrennten Bränden hell
Um Seegel, Mast und Bogspriet,
Und zuckte dann plötzlich wieder in Eine Gluth zusammen.
Die Blitze Jovis, furchtbarer Donnerschläge Bothen,
Sind nicht behender, dem Auge vorüber zu flattern:
Die krachende, donnernde Gluth der Schwefelströhme
Schien den allmächtigen Neptun
Zur Schlacht zu fordern, die ganze freche Fluth
Erbebte, ja es schien
Sein furchtgebietender Trident zu wanken.

Prosp. Mein wackerer Geist! — Wer war so festen Muths, daß seine Vernunft nicht diesem Getümmel unterlag?

Ariel. Auch nicht einer; alle ergriff ein Wahnsinnsfieber, jeder rannte in blinder Verzweiflung umher. Alle, nur die Schiffer nicht, sprangen aus dem[16] Schiffe, das um mich her ein einziger Brand war, in die kochende See; Ferdinand, des Königs Sohn, war der erste der sich hinunterstürzte; mit aufgesträubtem Haar, mehr Binsen als Haaren ähnlich, schrie er laut: Die Höll' ist leer und alle Teufel sind hier!

Prosp. Ha! gut, mein Geist! Aber es war doch nahe am Ufer?

Ariel. Ganz nahe, mein Gebieter.

Prosp. Und sie sind auch alle gerettet, Ariel?

Ariel. Alle: auf ihren Kleidern ist kein Fleck, sondern sie sind glänzender als vorher, und wie du es gebotest, hab' ich sie auf der Insel in mehreren Haufen zerstreut. Den Sohn des Königs ließ ich einsam landen, ich verließ ihn in einem fernen Winkel dieser Insel, da sitzt er, kühlt die Luft mit seinen Seufzern ab, die Arme in diesen traurigen Knoten geschlungen.

Prosp. Wo sind die Matrosen von dem königlichen Schiffe, und wo die übrige Flotte?

Ariel. In Sicherheit liegt das königliche Schiff, in jener tiefen Bucht versteckt, wohin du mich einst um Mitternacht riefst, um Thau für dich von den stürmischen Bermuden zu holen. Zusammengedrängt liegen die Matrosen alle im Raum des Schiffes, ich ließ sie dort, in einen tiefen Schlaf versenkt, von der Arbeit und durch meinen Zauber ermüdet. Die übrige Flotte, die ich zerstreut hatte, ist wieder versammelt, alle sind auf der Atlantischen See, und segeln trau[17]rig nach Neapel heimwärts, im Wahn, das Schiff des edeln Königs sey gescheitert, der König selbst ein Raub der Wellen.

Prosp. Ariel, du hast deinen Auftrag getreulich ausgerichtet; aber es giebt noch mehr zu thun. — Wie hoch ist es am Tage?

Ariel. Der Mittag ist seit zwey Stunden schon vorüber.

Prosp. Die Zeit zwischen jetzt und der sechsten Stunde muß von uns beiden sehr kostbar angewendet werden.

Ariel. Noch mehr Geschäfte? Da du mir so viel Mühe machst, so laß dich auch an ein Versprechen erinnern, das du mir noch nicht gehalten hast.

Prosp. Wie? Du murrst? Was kannst du wollen?

Ariel. Meine Freyheit.

Prosp. Ehe die Zeit um ist? — Nichts mehr.

Ariel. Ich bitte, bedenke, wie manchen wackern Dienst ich dir gethan habe; daß ich dir nie Lügen vorsagte, nichts durch Ungeschicklichkeit verdarb, und immer ohne Groll und Maulen diente. — Du versprachst mir ein ganzes Jahr nachzulassen.

Prosp. Hast du denn vergessen, von welcher Qual ich dich befreyte?

Ariel. Nein.

Prosp. Du hast es, und glaubst dich nun gequält, im Schlamm der salzigen Tiefe zu waten, auf[18] dem scharfen Nord zu rennen, oder mein Gebot in den Adern der Erde auszurichten, wenn sie vom Frost erstarrt ist.

Ariel. Nicht doch, mein Gebieter.

Prosp. Du lügst, boshaftes Geschöpf! Hast du die schnöde Hexe Sycorax vergessen, die vor Alter und Neid in einen Reif zusammengewachsen war? Hast du sie vergessen?

Ariel. Nein.

Prosp. Ja, du hast es. Wo war sie gebohren? sprich, erzähle mir!

Ariel. In Algier, mein Gebieter.

Prosp. So, wirklich? — Ich muß dich doch in jedem Monat Ein mal an deinen vorigen Zustand erinnern. Du weißt es, daß diese verruchte Hexe Sycorax, für tausendfaches Unheil und für Zaubereyen, deren Erzählung kein menschliches Ohr erträgt, aus Algier verbannt ward. Ist es nicht so?

Ariel. Ja, mein Herr.

Prosp. Schwanger ward die grauaugigte Unholdin hieher gebracht, und an dies Gestade von den Schiffern ausgesetzt. Du, mein Sklave, warst damals, wie du mir selbst erzählt hast, ihr unterthan; und weil deine geistige Natur zu wild war, um ihre grausen, irdischen Befehle auszuführen, weil du dich der gräßlichen Knechtschaft widersetztest, so sperrte sie dich, mit Hülfe ihrer stärkeren Diener, mit eisenhartem Grimm, in eine aufgespaltene Fichte; zwölf pein[19]volle Jahre bliebst du in diesem Risse eingekerkert; sie starb indeß, und ließ dich dort, du stöhntest deine Seufzer so schnell, wie das Gesause von Mühlenrädern; damals war diese Insel noch mit keiner menschlichen Gestalt beehrt, außer jenem gefleckten wilden Wechselbalg, den Sycorax hier gebahr.

Ariel. Ja, Caliban, ihr Sohn.

Prosp. Das ist's ja was ich sage, derselbe Caliban, der mir jetzt dient. — Du weißt es am besten, in welcher Qual ich dich fand; dein Aechzen machte die Wölfe heulen und durchschnitt die Brust ewig ergrimmter Bären; es war eine Folter für die Verdammten, und selbst Sycorax konnte ihren Zauber nicht wieder lösen: nur meiner Kunst, als ich bei meiner Ankunft dich hörte, sprang die Fichte auseinander und ließ dich frey.

Ariel. Wie dank' ich dir, mein Gebieter!

Prosp. Murrst du aber wieder, so will ich einen Eichenstamm aufreißen, und dich in seine knotigen Eingeweide klammern, bis du zwölf Winter hinweggeheult hast.

Ariel. Vergieb mir, Herr! Ich will deinem Befehl gehorchen, und willig meinen Geisterdienst thun.

Prosp. Gut, so laß ich dich nach zwei Tagen frey.

Ariel. O mein edler Gebieter! Was soll ich thun? sage, was, was soll ich thun?[20]

Prosp. So höre mich. — (Er sagt ihm etwas ins Ohr.)

Ariel. Es soll geschehen, mein Beherrscher. (Er geht ab.)

Prosp. Erwache, liebe Tochter, erwache! du hast sanft geschlafen. — Erwache!

Mir. Deine seltsame Geschichte hat mich ganz müde gemacht.

Prosp. Ermuntre dich, steh auf; wir wollen Caliban, unsern Sklaven besuchen, der uns nie eine freundliche Antwort giebt.

Mir. Es ist ein Boshafter, lieber Vater, ich mag ihn ungern sehn.

Prosp. In unsrer Lage können wir ihn aber nicht entbehren: er macht uns Feuer, holt unser Holz, und thut uns viel nützliche Dienste. — He! Sklave! Caliban! — Du träger Klumpen, antworte doch!

Caliban. (Hinter der Bühne.) 'S ist Holz genug drinne!

Prosp. Komm hervor, sag' ich, du giftiger Sklave! es sind andere Geschäfte für dich da, du Schildkröte! —

(Caliban tritt auf.)

Caliban. Der giftigste Thau, den meine Mutter jemals mit Rabenflügeln vom faulen Moor abgebürstet hat, beregn' euch beide! Ein Südwest blas' euch Geschwüre auf den ganzen Leib![21]

Prosp. Dafür, sey versichert, sollst du in der Nacht Krämpfe bekommen, und Seitenstechen, das deinen Athem einschnüre; Igel sollen sich an dir müde arbeiten, so dicht wie Honigwaben sollst du zerstochen werden, und jeder Stich brennender, als der Stich der Biene.

Calib. Mein Mittagbrod will ich! — Das ist meine Insel hier, von Sycorax, meiner Mutter, her; du hast sie mir gestohlen. — Als du erst ankamst, ja, da ward ich von dir gestreichelt, da ward viel aus mir gemacht; da gabst du mir auch ein schönes Wasser, mit Beeren drinn; da sagtest du mir, wie das große und kleine Licht heißt, das bei Tage und in der Nacht brennt: und damals war ich dir gut, da zeigt' ich dir hier alle Sachen auf der Insel, alle süßen und salzigen Wasser, die dürren Plätze und auch die fruchtbaren. O verflucht bin ich, daß ich so that! — Alle Hexenkünste der Sycorax, Kröten, Schröter und Fledermäuse über euch! denn ich bin nun hier euer Knecht und einziger Unterthan, da ich vorher mein eigner König war: in den harten Fels da sperrt ihr mich ein, und behaltet alles übrige von meiner Insel für euch.

Prosp. Lügenhafter Sklave, den nur Schläge, nicht Freundlichkeit bezähmen können! Trotz deiner wilden Art bin ich dir mit Menschenfreundlichkeit begegnet, ich gab dir in meiner eignen Hütte einen Platz, bis du mein Kind zu entehren suchtest.[22]

Calib. Oho! oho! — wollt' es wär' geschehn! du kamst nur zu früh, sonst hätt' ich die Insel mit Calibanen bevölkert.

Prosp. Abscheulicher Sklave, keinem guten Eindruck offen, nur für Schändlichkeiten gelehrig! Ich hatte Mitleiden mit dir; mit vieler Mühe bracht' ich dich zum sprechen, und lehrte dich stündlich bald dies, bald jenes. Du, Wilder, konntest deine Meynung nicht kennbar machen, sondern wie ein verächtlich Vieh schlugst du ein Gebell an, ich verlieh deinen dunkeln Begriffen erst Worte. Aber trotz allem blieb dir deine rohe Art, die dich edleren Wesen abscheulich macht, darum hast du verdient, daß ich dich in den Felsen sperre, ja, du hast mehr als einen Kerker verdient.

Calib. Ihr lehrtet mich die Sprache, und mein Vortheil ist, daß ich nun doch fluchen kann. — Die Pest über euch, daß ihr mich eure Sprache gelehrt habt!

Prosp. Fort Wechselbalg! Trage Reiser zusammen, und schnell, denn du bekömmst noch andre Arbeit. — Du zuckst die Schultern, Tückischer? — Bist du nachläßig, oder thust du mein Gebot unwillig, so will ich dich mit schweren Krämpfen foltern, alle deine Gebeine mit Schmerzen füllen, und dich so brüllen lassen, daß das Wild selbst bey deinem Geheule zittert.[23]

Calib. Nein, bitte! — (bey Seite) Ich muß gehorchen, denn seine Kunst ist so gewaltig, daß er den Setebos, den Gott meiner Mutter, zähmen könnte, und ihn als Knecht brauchen.

Prosp. Nun, fort, Sklave! —

(Caliban geht ab.)

(Prospero und Miranda stehen auf der einen Seite der Bühne; jetzt tritt Ariel auf, spielend und singend, auf der andern Seite; Ferdinand folgt Schritt vor Schritt der Musik, wie unwillkührlich.)

Ariel.

Still ist das Meer, —
Nun flieget hieher
Und schwärmt auf dem blühenden Ufer umher!
Bey freundlichen Küssen
Tanzt Arm in Arm,
Mit flüchtigen Füßen
Schwebe,
Brüderlich hebe
Sich hüpfend und jauchzend der luftige Schwarm.
Dem Widerklang
Am Felsenhang
Ertöne der lustige Rundgesang!
[24]

Geister (hinter der Bühne.)

Bau, — Wau!

Ariel.

Der Wachthund schlägt an!

Geister.

Bau, — Wau!

Ariel.

Der muntere Hahn Schreit krähend und kichernd zum Himmel hinan.

Geister.

Kock — kock — akockerikiki!

Ferdinand. Wo ist diese Musik? — In der Luft, oder auf der Erde? — Gewiß erklang sie zur Ehre einer Gottheit auf dieser Insel. — Als ich auf einer Sandbank saß, und den Tod des Königs, meines Vaters, beweinte, schlich diese Musik auf den Wellen zu mir herüber, und ihre süßen Accente besänftigten den Trotz der Fluth, und meinen Schmerz; seitdem bin ich ihr gefolgt; sie hat mich nach sich gezogen. — Aber sie schweigt: — nein, sie beginnt von neuem.

Ariel.

In des Meeres wüsten Hallen
Liegt dein Vater, tief und fern,
Sein Gebein wird zu Korallen,
Perle wird sein Augenstern.
[25]
Auf dem dunkeln, feuchten Boden
Wandelt bald der Leichnam sich,
Alles wird zu Seekleinoden
Auf des Meeres dunkelm Boden,
Wundervoll und schauerlich.
Seegöttinnen durch die weiten
Meergemächer leise schreiten,
Ihm den Todtensang zu läuten. —
Den Todtensang,
Ding,— dang!

Geister, (ungesehen.)

Ding, — dang.
Ding, — dang.

Ferdinand. Das Lied spricht von meinem ertrunkenen Vater. — Nein, das ist keine irrdische Melodie. — Jetzt fliegt sie über mir hinweg.

Prosp. (Zu Miranda.) Eröffne dein Auge, und sage mir, was du dort siehst.

Mir. Was ist das? — Ein Geist? — Sieh, wie es um sich blickt. — O wahrlich, Vater, das ist eine schöne Gestalt. — Aber es ist ein Geist.

Prosp. Nein, Kind, es ißt und schläft, und hat nicht andre Sinne wie wir. — Der Jüngling, den du dort siehst, war mit im Schiffbruch, und man könnte ihn ziemlich schön nennen, wenn ihn der Gram[26] nicht etwas entstellt hätte. — Er hat seine Gefährten verlohren, und schweift nun umher um sie wieder zu finden.

Mir. Ich möchte ihn ein göttliches Wesen nennen, so überirrdisch edel erscheint er mir.

Prosp. (Bey Seite.) Es geht, wie es meine Seele wünscht. — Mein lieber Geist, dafür bist du in zwey Tagen frey.

Ferdin. Ha! die Gottheit, welcher die Gesänge tönten! — O antworte meinem demüthigen Flehen, ob diese Insel dein Wohnsitz ist, und gieb mir einen gütigen Wink, wie ich mich hier betragen muß.

Mir. Keine Gottheit, — nur ein armes Mädchen.

Ferd. Meine Sprache! O Himmel! — Ich bin der Vornehmste von denen die sie reden, wär' ich nur dort, wo sie gesprochen wird!

Prosp. Wie? der Vornehmste? Was würde aus dir werden, wenn dich der König von Neapel so reden hörte?

Ferd. Ich erstaune darüber, daß du ihn nennst. — Ach! er hört mich, und daß er mich hört, das ist eben worüber ich weine. — Ich selbst bin jetzt der König von Neapel, und diese meine Augen sind seitdem nicht trocken geworden, seit sie meinen Vater untersinken sahn.

Mir. Ach! Erbarmen!

Prosp. (Bey Seite.) Beym ersten Blick tauschten sie ihre Herzen aus. — Mein zarter Ariel,[27] dies macht dich frey. — (Laut.) Ein Wort mit euch, — ich fürchte, — nur ein Wort mit euch.

Mir. Warum ist mein Vater so unfreundlich? das ist der dritte Mann, den ich jemals sah, und der erste, für den ich seufze. O Mitleid! laß meinen Vater so wie mich empfinden!

Ferd. O, wenn du eine Jungfrau bist, wenn du deine Liebe noch nicht versagt hast, so will ich dich zur Königin von Neapel machen.

Prosp. Gemach, nur Ein Wort! — (Bey Seite.) Sie lieben sich, — ich muß aber dieser Liebe etwas in den Weg legen, sonst verliert der Preis beym zu leichten Gewinnst. — (Laut.) Höre; ich befehle dir, mir zu folgen. Ohne Recht hast du dich in diese Insel eingeschlichen, um sie mir, ihrem Besitzer, zu entreißen.

Ferd. Nein, so wahr ich ein redlicher Mann bin!

Mir. Nein, in einer so schönen Gestalt kann nichts böses wohnen.

Prosp. (Zu Ferdinand.) Folge mir, — und du sprich nicht für ihn; er ist ein Verräther! — Komm, ich will deinen Nacken und deine Füße zusammenschnüren, Seewasser sollst du trinken, und frische Bachbungen, welke Wurzeln und Eichelhülsen sollen deine Nahrung seyn. — Folge mir!

Ferd. Nein, einer solchen Begegnung will ich mich so lange widersetzen, bis mein Feind der Stär[28]kere ist, — (Er zieht den Degen, Prospero berührt ihn mit seinem Stabe, Ferdinand steht fest gezaubert, das Schwerdt entfällt seiner Hand.)

Mir. O lieber Vater, verdamme ihn nicht zu rasch, er ist ja freundlich, und du brauchst ihn nicht zu fürchten.

Prosp. Wie? — Du sprichst für ihn? — Nimm sein Schwerdt auf, Verräther! Du hast keine Kraft, so sehr drückt die Schuld dein Gewissen. Mit diesem Stab hab' ich dich entwaffnet.

Mir. Ich bitte dich, lieber Vater!

Prosp. Fort! häng' dich nicht an mein Kleid.

Mir. Ich bitte dich, habe Mitleid, ich will Bürge für ihn seyn.

Prosp. Schweig! noch ein einziges Wort, und ich hasse dich! — Wie? für einen Betrüger zu sprechen? Ha! du denkst, es giebt nicht mehr solche Männer, weil du nur Caliban und ihn gesehn hast; Närrin, gegen die meisten Männer ist er ein Caliban, und sie sind Engel gegen ihn.

Mir. So sind meine Neigungen denn sehr bescheiden; ich verlange gar nicht, einen schönern Mann zu sehen.

Prosp. (Zu Ferdinand.) Komm, und gehorche; — deine Sehnen sind wieder so schwach, wie sie in ihrer Kindheit waren.

Ferd. So ist es; alle meine Lebensgeister sind, wie in einem Traum, gefesselt. — Aber meines Va[29]ters Tod, die Ohnmacht, die ich fühle, der Verlust aller meiner Freunde, und die Drohungen dieses Mannes, dem ich jetzt unterworfen bin, sind mir nur gering, wenn ich nur Einmal am Tage durch mein Gefängniß dieses Mädchen sehe: die Freyheit mag auf der übrigen Erde wohnen, für mich ist in solchem Kerker Raum genug.

Prosp. (Bey Seite.) Es wirkt. — (Laut.) Folge. — (Zu Ariel.) Ich danke dir, mein Ariel. Höre, was du noch für mich thun sollst. (Er spricht leise mit Ariel.)

Mir. Gieb dich nur zufrieden; mein Vater ist milder als er jetzt gesprochen hat; so wie er jetzt war, ist er nie.

Prosp. So frey wie die Winde auf den Bergen sollst du seyn; aber richte mein Gebot aufs genauste aus.

Ariel. Bis auf den geringsten Umstand.

(Geht ab.)

Prosp. Folge mir. — Du sprich nicht für ihn.

(Alle gehen ab.)




Zweyter Aufzug.

[30]

(Eine andere Gegend der Insel.)



Erste Scene.

Alonso, Sebastian, Anthonio, Gonzalo, Adrian, Francesco, und andre Hofleute.

Gonzalo. Ich bitt' euch, mein König, seyd heiter; ihr und wir alle haben Ursach uns zu freuen.

Alonso. Ich bitte dich, schweig.

Gonz. Unser Unglück ist etwas ganz gewöhnliches, an jedem Tage hat irgend ein Schifferweib oder ein Kaufmann dieselbe Ursach zu klagen; aber von einem solchen Wunderwerke, wie unsre Rettung ist, können unter Millionen nur wenige sagen: wir leben, auf eine wunderbare Art von den Wellen ans Land getragen; ja, es ist unbegreiflich, wie das Seewasser unsre Kleider kaum feucht gemacht hat, sie haben keinen Flecken, sondern sie sind noch eben so neu, wie damals, als wir sie in Afrika zum erstenmale trugen, als die Hochzeit eurer schönen Tochter Claribella mit dem Könige von Tunis gefeyert ward. — Drum,[31] mein guter König, laßt uns weislich unsern Gram gegen unsern Trost abwägen.

Alonso. Ich höre das Schellengeläute deiner Worte mit Verdruß an. — O hätt' ich doch meine Tochter nie in Tunis verheirathet! Denn auf der Rückkehr hab' ich meinen Sohn verlohren, — und auch meine Tochter, denn sie ist von Italien so weit entfernt, daß ich sie niemals wiedersehen werde. — O, mein Sohn, welchem Seeungeheuer bist du zur Beute geworden?

Francesco. Mein König, er lebt vielleicht. Ich sah, wie er alle Wogen unter sich niederschlug, und auf ihrem Rücken schwebte: er schlug die feindliche Fluth auf die Seite, und bot den größten Wogen eine königliche Brust. Er erhielt sein kühnes Haupt immer über dem Wasser, und ruderte mit starken Armen nach der Küste, die sich ihm, von den Wogen untergraben, entgegenbog. — Gewiß erreichte er lebend das Ufer.

Alonso. Nein, nein! er ist dahin!

Sebast. Diesen großen Verlust habt ihr euch nur selbst zu verdanken; freilich durfte Europa nicht mit eurer Tochter beglückt werden, dafür ward sie lieber an einen Afrikaner verschleudert; wo sie wenigstens weit genug aus eurem Auge verbannt ist, das hinlängliche Ursach hat, aus Gram darüber zu weinen.

Alonso. Ich bitte dich, schweig![32]

Sebast. Man lag zu euren Füßen, wir alle bestürmten euch mit Bitten; die schöne Seele selbst schwankte zwischen Gehorsam und Widerwillen in ängstlicher Erwartung, welche Schaale niedersinken würde. — Euer Sohn, fürcht' ich, ist auf immer verlohren. — Diese Reise hat in Mayland und Neapel mehr Wittwen gemacht, als wir Männer mitbringen, um sie zu trösten. — Ihr allein habt die größte Schuld.

Alonso. So wie den größten Verlust.

Gonz. Mein Prinz Sebastian, die Wahrheit, die ihr sagt, ist unfreundlich, und zur unrechten Zeit; ihr reibt die Wunde statt ein Pflaster darauf zu legen.

Sebast. Schön gesprochen!

Anthon. Und sehr chirurgisch.

Gonz. Mein König, wir alle haben schlechtes Wetter, wenn eure Stirn bewölkt ist.

Sebast. Schlecht Wetter?

Anth. Ja wohl, schlecht.

Gonz. Wenn ich der König dieser Insel wäre, — so würd' ich hier eine eigne, ganz neue Regierungsform einführen. In meinem Staate dürfte kein Handel getrieben, kein Krieg geführt werden; die Wissenschaften sollten nach und nach wieder einschlafen; es müßten keine Obrigkeiten seyn, ich wollte mich bemühen, das goldne Zeitalter wieder herzustellen.

Anth. O, du glückliches Zeitalter![33]

Gonz. Alles eine einzige große, einträchtige und glückliche Familie! kein Haß und Zwiespalt, kein Neid und keine Verfolgung! — Keiner der andre beherrscht, und keiner der beherrscht wird, die glücklichste Gleichheit aller Stände.

Sebast. Und doch wollte er König seyn!

Anthon. Das Ende seiner Staatsverfassung vergißt den Anfang!

Sebast. Gott erhalte Seine Majestät!

Anthon. Lange lebe Gonzalo, der Wiederhersteller des goldenen Zeitalters!

Gonz. Ihr hört mich nicht, mein König!

Alonso. Ich bitte dich, hör' auf; du sagst mir da ein langes Nichts.

Gonz. Es geschah blos, um diesen Herren eine Erschütterung des Zwerchfells zu machen.

(Ariel tritt auf, mit einer feyerlichen Musik.)

Anthon. Ihr habt uns im Gegentheil schläfrig gemacht, denn seht, Francesco schläft schon.

Gonz. Und ich selbst bin müde!

Anthon. Nun so schlaft und schweigt.

(Gonzalo, Adrian, Francesco und die übrigen Hofleute sind eingeschlafen.)

Alonso. So schnell eingeschlafen? — Und auch meine Augen fallen zu. [34]

Anthon. Schlaft, mein König, der Schlaf ist im Unglück stets ein Tröster.

Sebast. Wir beyde wollen unterdeß für eure Sicherheit wachen.

Alonso. Sonderbar. — (Er schläft ein.)

Ariel (singt und spielt.)

Vor Gefahren
Seine Freunde zu bewahren,
Schickt mein Meister mich hieher!
Hieher! Hieher!
Ruhe senke
Sich hernieder,
Schlummer tränke
Ihre müden Augenlieder.
Säusle, Hain!
Wieg' ein,
Dämmerschein!
Sie — schlafen — ein!

Sebast. Was ist das für eine seltsame Betäubung, die sie ergreift!

Anthon. Die Eigenschaft des Klima's.

Sebast. Aber warum bleiben unsre Augen offen? — Ich fühle mich gar nicht schläfrig.[35]

Anthon. Ich auch nicht; meine Lebensgeister sind munter. — Sie fielen zusammen, als wenn sie's abgeredet hätten, wie vom Blitz erschlagen. — Was könnte, edler Sebastian, o was könnte! — Nichts mehr. — Und doch dünkt mich, les' ich in deinem Gesichte, was du seyn solltest. — Die Gelegenheit redet dir zu, und meine erhitzte Phantasie sieht eine Krone, die auf dein Haupt niederfällt.

Sebast. Wie? Bist du wach?

Anthon. Hörst du mich denn nicht sprechen?

Sebast. Freilich, und wahrhaftig, es ist die Sprache eines Träumers. — Was sagtest du denn? — Seltsam, so mit weit offnen Augen zu schlafen! zu stehn, zu sprechen, sich zu bewegen, — und doch fest eingeschlafen!

Anthon. Edler Sebastian, du ließest dein Glück schlafen, — nein, sterben vielmehr. — Du schläfst, indem du wachst.

Sebast. Du schnarchst verständlich; es ist Sinn in deinem Schnarchen.

Anthon. Ich bin ernsthafter wie gewöhnlich; wenn du mich verstehst, so sey es auch, und ich will dich dreymal größer machen als du bist.

Sebast. Nun gut, ich bin stehendes Wasser.

Anthon. Ich will dich fließen lehren.

Sebast. Thu's: denn stillstehn lehrt mich meine angebohrne Trägheit.[36]

Anthon. O wüßtest du nur, wie sehr du meinem Vorschlag entgegen kömmst, indem du ihm ausweichst! wie du dich unter dem Sträuben nur noch mehr verwickelst! — Langsame Menschen werden oft durch ihre Furcht oder Trägheit nur um so schneller auf den Grund gezogen.

Sebast. Ich bitte dich, sprich! — Das Feuer deines Auges und deiner Wange verkündet einen großen Gedanken, mit dem du schwanger bist.

Anthon. So ist es, Prinz. — Dieser Herr schwachen Angedenkens, — (man wird seiner eben so wenig gedenken, wenn er einmal eingescharrt ist,) er hat den König fast überredet, (denn er hat einen Geist der Ueberredung,) daß sein Sohn noch lebt. Daß er aber nicht ertrunken sey, ist eben so unmöglich, als daß er, der hier schläft, jetzt schwimmen könnte.

Sebast. Ich habe auch keine Hoffnung, daß er nicht ertrunken sey.

Anthon. O wie viele Hoffnung hast du eben daher, weil du hier keine Hoffnung hast! — Hier keine Hoffnung, ist dort eine so hohe Hoffnung, daß selbst der Ehrgeiz nur einen zweifelnden Blick so hoch hinauf werfen kann. — Du giebst mir also zu, daß Ferdinand ertrunken ist?

Sebast. Er ist todt.

Anthon. So sage mir, wer ist der nächste Erbe von Neapel?

Sebast. Claribella.[37]

Anthon. Sie, die Königinn von Tunis? — Sie, die zehn Meilen jenseits aller Menschen wohnt? Sie, die von Neapel keine Nachrichten haben kann, wenn nicht die Sonne ihr Postbothe wird? — Neugebohrne Kinne werden indeß rauh und bärtig. — Sie, — — hat uns nicht alle, als wir von ihr reisten, die See verschluckt? — obgleich einige wieder ausgeworfen sind, die durch diesen Zufall eine Scene spielen können, von der die lange Vergangenheit nur ein Prolog ist; alles was jetzt geschehen soll, ist meine und deine Rolle.

Sebast. Was ist das? — Wie sagst du? — Freilich ist meines Bruders Tochter Königinn von Tunis; eben so ist sie die Erbinn von Neapel; — und zwischen beyden Ländern ist ein ziemlicher Zwischenraum.

Anth. Ein Raum, wovon jede Spanne auszurufen scheint: Wie soll uns diese Claribella nach Neapel zurückmessen? — Bleibe sie in Tunis, und möge Sebastian erwachen! — Wenn dies nun der Tod wäre, der sie jetzt befallen hätte; je nun, sie wären darum nicht übler dran. Es giebt Leute, die Neapel eben so gut regieren können, wie der Schläfer hier; Herren, die eben so viele und leere Worte machen könnten, als dieser Gonzalo, ich selbst wollte mich zu einem solchen Staar abrichten. — O hättest du doch mein Gemüth! — welch heilsamer Schlaf wäre dies dann für deine Beförderung! — Verstehst du mich?[38]

Sebast. Ich glaube.

Anth. Und wie gefällt dir dein gutes Glück?

Sebast. Ich dachte eben dran, daß du deinen Bruder Prospero aus dem Sattel hobest.

Anth. Freilich, und sieh, wie gut mir meine Kleider stehn; weit besser, als vorher. Meines Bruders Untergebene waren damals meines Gleichen, jetzt sind sie meine Diener.

Sebast. Aber dein Gewissen —

Anth. Ho ho, Freund! wo liegt das? Wär's ein Hühnerauge, so müßt' ich in Pantoffeln gehn: aber ich fühle diese Gottheit in meinem Busen nicht. — Hätten sich zwanzig Gewissen zwischen mich und Mayland gestellt, sie hätten frieren und wieder aufthauen mögen, ohne mir im Wege zu seyn. — Hier liegt dein Bruder, um nichts besser als die Erde auf der er liegt, wenn er das wäre, was er jetzt scheint: todt! — Mit drey Zollen von diesem gehorsamen Stahl kann ich ihn auf immer zu Bette bringen: du kannst in dem nämlichen Augenblick dasselbe mit diesem Klugheitsspiegel, diesem Ritter Tugendreich thun, damit er uns nachher keine Händel macht. Alle übrigen werden sich krümmen und drehen, wie ein Kater, der Milch bekömmt: sie werden die Uhr auf jede Stunde stellen, die wir angeben wollen.

Sebast. Du sollst mein Beyspiel seyn, Freund: wie du Mayland gewannst, eben so will ich zu Neapel kommen. Zieh dein Schwerdt; ein einziger Stoß[39] soll dich von deinem Tribut befreyen, und ich, der König, werde dir noch Dank schuldig bleiben.

Anth. Zieh dein Schwerdt zugleich, und wenn ich meine Hand aufhebe, so durchstoße du Gonzalo.

Sebast. Höre, nur noch Ein Wort! (Sie reden heimlich miteinander.)

Ariel (singt dem Gonzalo ins Ohr.)

Ohne Bedacht
Schlaft ihr, es wacht
Bosheit, und lacht!
Schleichend und sacht
Wird itzt vollbracht,
Was sie erdacht: — —
Nun so erwacht!

Anth. So laßt uns denn schnell seyn!

Gonz. Ihr guten Engel, schützt den König!

(Alle wachen.)

Alonso. Wie? — Was ist das? — Erwacht! — Warum die Schwerdter gezogen? — Was soll dieser wilde Blick? —

Gonz. Was giebts?

Anth. Als wir hier standen, euren Schlaf zu schützen, da hörten wir, eben jetzt, ein hohles, dumpfes Brüllen, wie von Stieren, oder vielmehr von Löwen. — Machte es euch nicht wach? — Es schallte entsetzlich in mein Ohr.[40]

Alonso. Ich hörte nichts.

Sebast. O es war ein Getöse, das Ohr eines Ungeheuers zu erschrecken! — um ein Erdbeben zu erregen! — wahrhaftig es war das Gebrülle von einer ganzen Heerde von Löwen.

Alonso. Hast du es gehört, Gonzalo?

Gonz. Auf meine Ehre, mein König, ich hörte ein Summen, und von einer seltsamen Art, dies weckte mich auf. Ich stieß euch an, gnädiger Herr, und rief; als ich meine Augen aufschlug, sah ich ihre Schwerdter gezogen: — ein Geräusch war, das ist gewiß. — Das beste ist, wir sind auf unsrer Hut; oder verlassen diesen Ort. — Wir wollen alle unsre Schwerdter ziehn.

Alonso. Wir wollen von hier weggehn, und meinen armen Sohn weiter suchen.

Gonz. Der Himmel beschütze ihn vor diesen wilden Thieren, denn er ist gewiß auf der Insel.

Alonso. Kommt! —

(Sie gehen ab.)

Ariel. Mein Gebiether Prospero soll erfahren, was ich gethan habe. — So, König, geh' unversehrt, und suche deinen Sohn. —

(Geht ab.)



Zweite Scene.

[41]

(Eine andre Gegend der Insel. — Man hört donnern.)

(Caliban tritt auf, mit einem Regenmantel. Er trägt eine Ladung Holz.)

Caliban. So wollt' ich, daß alles Gift, das die Sonne aus Sümpfen, Mooren und verfaulten Wassern saugt, auf Prospero falle, und ihn zu einer einzigen Eiterbeule mache! — Seine Geister hören mich, aber ich kann nicht helfen, ich muß fluchen. — Und sie würden mich auch nicht stechen, nicht als Stachelschweine mich erschrecken, in den Morast tauchen, oder mich als Feuerbrände im Finstern aus meinem Wege locken, wenn er es ihnen nicht beföhle. Aber er hetzt sie um jede Kleinigkeit auf mich. Oft als Affen, die schnattern und mir Mäuler ziehn und mich nachher beißen; dann wieder wie Igel, die zusammengerollt in meinem Wege liegen und mir in die Fersen stechen, wenn ich falle; manchmal zerbeißen mich Ottern, die mit der gespaltenen Zunge zischen bis ich toll bin. — (Trinkulo tritt auf.) — Sieh! sieh! da kömmt einer von seinen Geistern; der will mich quälen, weil ich das Holz nicht geschwinde gebracht habe: — ich will nur niederfallen, vielleicht sieht er mich nicht. — (Er wirft sich nieder.)

Trinkulo. Da ist weder Busch noch Strauch, um sich vor dem Wetter zu verkriechen, und es kömmt[42] schon wieder ein neues Gewitter; man kann's am Winde hören; und jene schwarze Wolke, jener Riese von Wolke, sieht gerade wie ein Oxhoft aus, das sich ausgießen will. — Wenn wieder solch Gedonner anfängt, wie vorher, so weiß ich nicht, wo ich meinen Kopf hinstecken soll: eimerweise muß die Wolke da herunterfallen. — Was haben wir denn hier? Mensch, oder Fisch? — Todt oder lebendig? — Ein Fisch, denn es riecht wie ein Fisch! — Ein kurioser Fisch! — Wär' ich jetzt nur in Europa, und hätte diesen Fisch blos abgemahlt, da wäre kein Feyertagsnarr, der mir nicht ein Stück Geld gäbe: das Ungeheuer würde mich da zu einem ganzen Kerl machen; — durch seltsame Bestien wird man da ein gemachter Mann. — Wenn sie nicht einen Pfennig geben wollen, um einem lahmen Bettler beyzustehn, so geben sie zehn, um einen todten Indianer zu sehn. — Beine, wie ein Mensch! und seine Floßfedern sind wie Arme! — Warm, bey meiner Treu! — Nein, ich habe mich geirrt, das ist kein Fisch, das ist ein Eingebohrner, den ein Donnerkeil umgeschmissen hat. — O weh! da kömmt der Sturm wieder! Das gescheidteste ist, ich krieche unter seinen Regenmantel, ein andres Obdach giebt's hier nicht. — Das Elend kann einem seltsame Schlafkameraden zuführen: ich will mich hierunterstecken, bis der ärgste Sturm vorüber ist.

(Stephano tritt auf, mit einer Flasche in der Hand.)

[43]

Stephano. (singt.)

Ich will nicht mehr in Wassersnoth,
Am Ufer such ich meinen Tod!

Das ist gut auf einem Kirchhof, oder unterm Galgen zu singen. —

Mag der Sturmwind brausen
Von Nord und Ost,
Und wüthend die krausen
Gewölke zerzausen,
Hier ist mein Trost! (Er trinkt.)
Mag zum Himmel schwellen
Die wilde Fluth,
Und Winde mit Wellen
Wie Hund' umher bellen, —
Hier ist mein Muth! (Er trinkt.)
Mag's stürmen von Norden, mag's stürmen von West,
So lange das Schicksal dich Theure mir läßt,
So hör' ich dem Sturme mit heiterer Ruh,
Dem Einfall des Himmels mit Fröhlichkeit zu.

(Er trinkt.)

Calib. Quäle mich nicht, oh![44]

Steph. Was giebt's hier? — Ha! ich bin nicht dem Ersaufen entwischt, um mich nun vor deinen vier Beinen zu fürchten! denn es ist immer gesagt worden: ein so wackrer Mann, als nur je auf vier Beinen gieng, kann ihn nicht zum Weichen bringen! Und es soll auch noch ferner gesagt werden, so lange Stephano durch seine Nasenlöcher Athem einzieht!

Calib. Der Geist quält mich! Oh!

Steph. Das ist ein vierbeinigtes Ungeheuer hier von der Insel, das, so viel ich begreifen kann, das Fieber gekriegt hat. — Aber, wie der Teufel hat es unsre Sprache gelernt? — Ich will ihm eine Herzstärkung geben, wär's auch nur um Gotteswillen. — Kann ich ihn kuriren und zahm machen, und komme wieder mit ihm nach Neapel, so ist er ein Geschenk für den größten Kaiser, der jemals auf Kuhleder gieng.

Calib. Quäl mich nicht: bitte dich; ich will mein Holz ja schneller bringen.

Steph. Er ist jetzt in der Hitze, und spricht nicht zum gescheidtesten. — Er soll von meiner Flasche kosten; hat er noch keinen Wein getrunken, so vertreibt er gewiß das Fieber. — Wenn ich ihn kuriren und zahm machen kann, so will ich nicht zu viel für ihn nehmen. Er soll mir gewiß ein tüchtiges Geld einbringen.

Calib. Bis jetzt hast du mir noch nicht viel gethan, aber nun wirst du anfangen, ich merk's[45] an deinem Zittern: Prospero wirkt jetzt auf dich!

Steph. Mach fort! Thu' dein Maul auf! Nun! — Ich versichre dich, das wird dein Zittern wegschütteln, und das aus dem Grunde. — Man weiß nicht, wo man einen guten Freund antreffen kann. — Thu die Kinnbacken noch einmal von einander!

Trink. Die Stimme kömmt mir bekannt vor; es ist — aber der ist ersoffen, und das hier sind Teufel! — O sey uns gnädig!

Steph. Vier Beine und zwey Stimmen; ein recht zierliches Ungeheuer!— Seine vordere Stimme wird gut von seinem Freunde sprechen, und hinterrücks kann er ihn zugleich verläumden. — Und sollte aller Wein aus meiner Flasche draufgehn, so will ich ihn von seinem Fieber kuriren. — Komm, — ich will etwas in dein andres Maul gießen.

Trink. Stephano! —

Steph. Ruft mich dein zweyter Mund? Gott sey bey uns! dies ist der Teufel, und kein Ungeheuer. — Nein, ich will machen, daß ich fortkomme.

Trink. Stephano, — wenn du Stephano bist, so rühr' mich an, und sprich mit mir, denn ich bin Trinkulo, — fürchte dich nicht, — dein guter Freund Trinkulo.[46]

Steph. Wenn du Trinkulo bist, so komm hervor; ich will dich bey den dünnern Beinen ziehen; wenn hier Trinkulo's Beine drunter sind, so sind es diese. — Wahrhaftig du bist Trinkulo; aber wie kamst du denn mit diesem Mondkalbe zusammen?

Trink. Ich glaubte es wäre von Donner erschlagen. — Bist du aber nicht ersoffen, Stephano? — Ich hoffe jetzt, du bist nicht ersoffen. — Ist der Sturm vorüber? Aus Furcht vor dem Sturme kroch ich unter des Mondkalbs Regenmantel. — Und lebst du denn, Stephano? — O Stephano, zwey Neapolitaner sind entronnen!

Steph. Ich bitte dich, dreh' mich nicht so um, mein Magen ist noch nicht in seiner Verfassung.

Calib. Das sind hübsche Dinger, wenn es keine Geister sind. — Das da ist ein braver Gott, und führt ein himmlisches Getränk. — Ich will vor ihm niederknien.

Steph. Wie wurdest du gerettet? Wie kamst du hieher? Schwöre mir, bey dieser Flasche, wie kamst du hieher? — Ich rettete mich auf einer Weintonne, die die Matrosen über Bord warfen: bey dieser Flasche, die ich mit eigenen Händen aus Baumrinde gemacht habe, so wie ich ans Ufer kam.

Calib. (der vor Stephano niedergeknieet ist.) Ich will bey dieser Flasche schwören, dein treuer Unterthan zu seyn; denn das Getränk da ist nicht irrdisch.[47]

Steph. Hier, so schwöre denn. — Aber wie wardst du gerettet?

Trink. Ich schwamm ans Ufer, Kerl, wie eine Ente. Ich kann schwimmen, wie eine Ente, das will ich beschwören.

Steph. Hier, küsse das Buch.

Trink. (nachdem er getrunken.) O Stephano, hast du mehr davon?

Steph. Ein ganzes Faß, Kerl. Mein Keller ist in einem Felsen, an der Seeseite, dort liegt mein Wein verborgen. — Nun, Mondkalb, was macht dein Fieber.

Calib. Bist du nicht vom Himmel gekommen?

Steph. Aus dem Monde, ich versichre dich: es gab eine Zeit, wo ich der Mann im Monde war.

Calib. Ich habe dich dort gesehen, und ich bete dich an. Meine Gebieterin hat dich mir gezeigt, und auch deinen Hund und deinen Busch.

Steph. Komm, beschwöre das; Küsse das Buch, ich will es mit einem neuen Inhalte versehen; schwöre.

Trink. Beym Himmel, das ist ein sehr abgeschmacktes Ungeheuer! — Ich mich vor ihm fürchten? — ein elendes Ungeheuer! — der Mann im Monde? — ein klägliches, leichtgläubiges Ungeheuer. — Mein Seel, Ungeheuer, das war ein guter Zug![48]

Calib. Ich will dir alle fruchtbaren Oerter auf der Insel zeigen; und deine Füße will ich auch küssen. — Ich bitte dich, sey mein Gott.

Trink. Beym Himmel, ein nichtswürdiges, versoffenes Ungeheuer! Wenn sein Gott schläft, so wird er ihm die Flasche stehlen.

Calib. Ich will deine Füße küssen, ich will dir als ein Unterthan schwören.

Steph. Nun so knie nieder und schwöre!

Trink. Ich werde mich noch über dies Hundsgesicht von Ungeheuer zu Tode lachen! — Ein ganz miserables Ungeheuer! — Fast krieg' ich Lust, es abzuprügeln.

Steph. Küsse!

Trink. Wenn das elende Ungeheuer nicht besoffen wäre! — Ein vermaledeytes Ungeheuer!

Calib. Ich will dir die besten Quellen zeigen; ich will dir Beeren pflücken; will dir Fische fangen und dir Holz zutragen. — Die Pest über den Tyrannen, dem ich diene! Ich will ihm keine Klötze mehr zutragen, sondern dir folgen, du wundervoller Mann.

Trink. Ein lächerliches Ungeheuer! Aus einem armen besoffenen Kerl ein Wunder zu machen!

Calib. Bitte dich, laß dich hinführen, wo Holzäpfel wachsen. Mit meinen langen Nägeln will ich dir Trüffeln graben; will dir ein Nußhehernest zeigen, und dich lehren, wie man die schlaue Meerkatze fängt. Zu dichten Haselstauden will ich dich führen, [49]und dir manchmal junge Gemsen von Felsen hohlen. — Willst du mit mir gehn?

Steph. Ich bitte dich, zeig' uns den Weg, ohne so viel zu schwatzen. — Trinkulo, da der König und alle unsre Gefährten ersoffen sind, so wollen wir vom Lande Besitz nehmen. — Hier, trage die Flasche! — Wir wollen sie gleich wieder füllen, Kamerad Trinkulo.

Calib. Heda! Freyheit! Freyheit!

Trink. Ein heulendes, ein besoffenes Ungeheuer!

Calib. Mein Herr Prospero,

Lebt wohl!
Lebt wohl!
Bin jetzt mein eigner Herr so!
Brauch' ich nicht mehr zu dienen, o!
zu dienen euch! o!
Keine Fische
Fang' ich mehr,
Keine Tische
Scheur' ich mehr;
Mache kein Feuer,
Setze kein Wasser bey:
Das Ungeheuer
Ca — Caliban ist frey!
[50] Frey! frey!
Und dabey
Bin ich mein eigner Herr,
Kein dummer Holzträger mehr.

Stephano.

So lange Wein
Die Flasche hält,
Lacht uns die Welt
Im Sonnenschein!
So laßt uns freun,
Wie Könige schrein,
Und glücklich seyn!

Caliban, Stephano und Trinkulo.

So laßt uns freun
Wie Könige schrein,
Und glücklich seyn!

Caliban.

Heisa! Heisa!
Juchhei und Hopsasa!
Froh und befreyt,
Ist Caliban heut.
[51]

Alle drey.

Heisa! heisa!
Fröhlich,
Seelig,
Betrunken und froh
In Ewigkeit so!
So! so!
In Ewigkeit so!

(Sie taumeln ab.)




Dritter Aufzug.

[52]

Erste Scene.

(Vor Prospero's Wohnung.)

(Ferdinand tritt auf, mit einem Block auf der Schulter.)

Ferdinand. Es giebt Spiele, die mühsam sind, aber eben diese Mühe erhöht oft das Vergnügen. Manchen niederen Geschäften kann man sich auf eine ehrenvolle Art unterziehn, und Armseeligkeiten führen zuweilen zu einem glänzenden Ziele. Diese meine knechtische Arbeit würde mir eben so beschwerlich als verhaßt seyn, wenn mir nicht die Gebieterinn, der ich diene, Leben einflößte, und meine Arbeiten in Vergnügungen verwandelte. O! sie ist zehnmal so freundlich, als ihr Vater rauh, ob er gleich lauter Härte ist. — Auf seinen strengen Befehl muß ich einige tausend dieser Blöcke hieher tragen, und aufeinanderpacken. Meine reizende Gebieterinn weint, wenn sie mich arbeiten sieht, und sagt, so niedrige Geschäfte wären noch nie von einem solchen Manne[53] ausgeführt. — Ich vergesse meine Arbeit. — Aber diese süßen Gedanken geben mir neue Kräfte.

(Miranda kommt aus der Hütte.)

Mir. Ach! ich bitte dich, arbeite nicht so eifrig. — Ich wollte, der Blitz hätte diese Klötze verbrannt! — Ich bitte dich, setz' dich nieder, und ruhe aus. — Mein Vater liest jetzt ämsig in seinen Büchern; ich bitte dich, ruhe aus. In drey vollen Stunden wird er sich nicht um dich bekümmern.

Ferdin. O, meine theuerste Gebieterinn! die Sonne wird untergehen, ehe ich mein auferlegtes Tagewert werde vollendet haben.

Mir. Wenn du dich niedersetzen willst, so will ich unterdeß deine Klötze tragen. Ich bitte dich, gieb mir das, ich will es zu dem Haufen schleppen.

Ferdin. Nein, süßes Geschöpf! eher sollen meine Sehnen reißen, und mein Rückgrad brechen, ehe du eine solche Sklavenarbeit thun solltest, und ich müßig dabey sitzen.

Mir. Es würde sich für mich nicht weniger schicken, als für dich, und es würde mir nicht so beschwerlich fallen, denn ich thät' es dann mit gutem Willen, das thust du nicht.

(Prospero tritt unbemerkt aus der Hütte; er bleibt im Hintergrunde, und beobachtet sie.)

Prosp. Armes Geschöpf! — Deine Freyheit ist dahin! dieser Besuch beweist es.

Mir. Du siehst müde aus.[54]

Ferdin. Nein, meine edle Gebieterinn. Wenn du auch am Abend bey mir bist, so ist doch frischer Morgen um mich her. — Ich bitte dich, vornehmlich, damit ich dich in mein Gebet schließen kann, wie ist dein Nahme?

Mir. Miranda. — O, mein Vater, ich habe dein Gebot übertreten!

Ferdin. Göttliche Miranda! so viel werth, wie das Kostbarste in der ganzen Welt! — Mit aufmerksamem Auge hab' ich so manches Frauenzimmer betrachtet, und manchmal hat die Musik ihrer Zungen mein horchendes Ohr gefesselt; wegen mancherley guten Eigenschaften haben mir verschiedene Weiber gefallen; aber nie hat eine so sehr meine ganze Seele ausgefüllt, daß nicht bald irgend ein Fehler ihren schönsten Vorzug bestritten und überwältigt hätte. — Du, du allein bist ganz vollkommen, ganz ohne Gleiches, aus allen Vorzügen der übrigen Wesen zusammengesetzt!

Mir. Ich kenne keine meines Geschlechts, ich habe kein andres weibliches Gesicht, als mein eignes, im Spiegel gesehn, auch hab' ich keinen andern Mann gesehn, als dich, meinen lieben Freund, und meinen theuren Vater. Ich kann nicht wissen, welche Gestalten anderswo seyn mögen, aber ich wünsche mir in der ganzen Welt keinen andern Gefährten, als dich; auch kann ich mir keine Gestalt vorstellen, die mir so gefiele, wie du. — Aber ich schwatz' auch gar[55] zu unbesonnen, und vergesse ganz meines Vaters Ermahnungen.

Ferdin. Ich bin ein Prinz, Miranda, und, wie ich glaube, (ich wollte, es wäre nicht so,) ein König, und ich würde diese Sklavenarbeit so wenig erdulden, als es leiden, wenn sich eine Fleischfliege auf meine Lippen setzte; — aber jetzt höre meine Seele reden, — im ersten Augenblicke, da ich dich sah, flog mein Herz in deinen Dienst, und machte mich zu deinem Sklaven, aus Liebe zu dir bin ich ein so geduldiger Holzträger.

Mir. Du liebst mich also?

Ferdin. O Himmel! O Erde! seyd meine Zeugen, und krönt mein Bekenntniß mit einem glücklichen Erfolge, wenn ich die Wahrheit sage; bin ich ein Lügner, so verwandelt meine schönsten Hoffnungen in Unglück. Ueber alle Gränzen, über alles, was sonst in der Welt ist, liebe, schätze, verehr' ich dich!

Mir. Ich bin eine Thörinn, darüber zu weinen, worüber ich froh bin.

Prosp. Wie schön begegnen sich hier zwey seltene Herzen! — Schüttet euren Seegen, ihr Himmel, auf ihre keimende Liebe!

Ferdin. Worüber weinst du?

Mir. Ueber meine Unwürdigkeit, daß ich das nicht anbieten darf, was ich doch zu geben wünsche, und noch weniger das annehmen, dessen Beraubung mein Tod seyn würde; aber das ist nur leeres Ge[56]schwätz! — Hinweg, du falsche Schaam! du allein beseele mich, einfache, heilige Unschuld! Ich bin dein Weib, wenn du mich heirathen willst, wo nicht, so will ich als deine Geliebte sterben; du kannst mich als Gattinn verstoßen, aber deine Sklavinn will ich seyn, du magst es wollen, oder nicht.

Ferd. (kniend.) Meine Gebieterinn bist du, Theuerste, und ich so dir ewig unterthan.

Mir. Mein Gemahl also?

Ferd. Ja, und mit so verlangendem Herzen, als sich nur Knechtschaft je nach Freyheit sehnte; hier ist meine Hand.

Mir. Und hier die meinige, mit meinem Herzen darin. — Und nun lebe auf auf eine halbe Stunde wohl.

Ferd. Tausend, tausend Lebewohl!

(Sie gehen zu verschiedenen Seiten ab.)

Prosp. So froh wie sie kann ich nicht seyn, denn sie sind ganz Entzücken; aber über nichts anders kann meine Freude so hoch steigen. — Jetzt will ich zu meinen Büchern, denn vor Abend muß ich noch viel zu Stande bringen. (Er geht ab.)



Zweite Scene.

[57]

(Eine andere Gegend der Insel.)

(Caliban, Stephano, Trinkulo.)

Steph. Nichts mehr davon, wenn das Faß leer ist, wollen wir Wasser trinken, eher nicht einen Tropfen! — Trink mit zu, Dienst-Ungeheuer!

Trink. Dienst-Ungeheuer? — Eine närrische Insel!— Es sollen nur fünfe hier seyn; wir sind drey davon, wenn die andern nicht richtiger im Kopfe sind, als wir, so steht der Staat auf schwachen Füßen.

Steph. Trink, Dienst-Ungeheuer, wenn ich's dir heiße. Deine Augen sind ganz in den Kopf eingesunken. — Dieser Bediente von Ungeheuer hat seine Zunge in Sekt ersäuft; was mich betrifft, mich kann die See nicht ersäufen, ich schwamm, beym Element! fünf und dreyßig Meilen hin und her, ehe ich ans Ufer kommen konnte. — Aber Mondkalb, so sprich doch einmal in deinem Leben, wenn du ein gutes Mondkalb bist.

Calib. Wie geht's dir, Gnädiger? Ich will deine Schuhe lecken. — Dem da will ich nicht dienen, er ist nicht herzhaft.

Trink. Du lügst, du dummes Ungeheuer; ich bin im Stande, es mit einem Gerichtsdiener aufzunehmen. — Wie, du liederlicher Fisch du, war je[58]mals ein Mann eine Memme, der in einem Tage so viel Sekt getrunken hat? Kannst du dich unterstehen, so ungeheure Lügen zu sagen, und bist doch nur halb ein Fisch und halb ein Ungeheuer?

Calib. Sieh, er hat mich zum Narren, willst du ihn das so hingehen lassen, gnädiger Herr?

Trink. Gnädiger Herr! — daß ein Ungeheuer so dumm seyn kann!

Calib. Sieh, sieh, schon wieder; beiß ihn todt, bitte dich.

Steph. Trinkulo, habe auf deine Zunge in deinem Kopfe Acht; wirst du aber den Zänker spielen, so soll der nächste Baum — — das arme Ungeheuer ist mein Unterthan, und ihm soll kein Unrecht widerfahren.

Calib. Danke dir, edler Herr. — Gefällt es dir, meine Bitte noch einmal zu hören?

Steph. Ja, es gefällt mir. Knie nieder, und wiederhohle sie, ich will stehn, und Trinkulo soll auch stehn.

(Ariel kömmt unsichtbar.)

Calib. Wie ich dir schon sagte, ich bin einem Tyrannen unterthan, einem Zauberer, der mich durch seine List um diese Insel betrogen hat.

Ariel. Du lügst.

Calib. Du lügst, du Maulaffe du! Ich wollte, mein tapferer Herr vernichtete dich; ich lüge nicht.[59]

Steph. Trinkulo, wenn ihr ihn noch einmal in seiner Erzählung unterbrecht, so will ich euch mit dieser Hand einige Zähne einschmeißen.

Trink. Was? Ich sagte ja nichts!

Steph. Nun so schweigt denn. — (zu Caliban) Fahre fort.

Calib. Ich sage, durch Zauberey gewann er die Insel; von mir gewann er sie. Willst du ihn nun, Großmächtiger, dafür strafen? denn ich weiß, du hast Herz, der da aber hat kein Herz. —

Steph. Das ist eine ausgemachte Sache.

Calib. So sollst du Herr hier seyn, und ich will dir dienen. —

Steph. Wie soll das aber geschehen? Kannst du mir ein Mittel sagen?

Calib. Ja, ja, mein Gebieter; ich will dir ihn schlafend liefern, da kannst du ihm denn einen Nagel durch den Kopf schlagen.

Ariel. Du lügst, das kannst du nicht.

Calib. Was ist denn das für ein buntscheckiger Flegel? Du Lumpenhund du! — Bitte dich, Großmächtiger, gieb ihm Schläge, und nimm ihm die Flasche; wenn er die nicht mehr hat, so muß er lauter Seewasser trinken, denn ich will ihm nicht zeigen, wo die frischen Quellen sind.

Steph. Trinkulo, gieb dich nicht weiter in Gefahr; unterbrichst du das Ungeheuer noch mit einem einzigen Worte, siehst du, so will ich meine Barm[60]herzigkeit zur Thür hinausstoßen, und einen Stockfisch aus dir machen.

Trink. Nun, was sagt' ich denn? Ich sagte nichts. — Ich will weiter weg gehn.

Steph. Sagtest du nicht, er lüge?

Ariel. Du lügst.

Steph. (indem er ihn schlägt) So? — da nimm das. Wenn's dir schmeckt, so heiße mich ein andermahl wieder Lügner.

Trink. Ich sagte nichts von Lügner. — Hast du den Verstand verlohren, und die Ohren dazu? — Hohl' der Henker deine Flasche! das kann Sekt und Saufen thun! — daß die Pest dein Ungeheuer, und der Teufel deine Finger!

Calib. Ha! ha! ha!

Steph. Nun, weiter in deiner Erzählung, — (zu Trinkulo) Ich bitte dich, geh' weiter zurück!

Calib. Schlag' ihn tüchtig, nachher will ich ihn auch etwas prügeln.

Steph. Geh weiter zurück. — Nun fahre du fort.

Calib. Nun, wie ich dir sagte, hat er die Gewohnheit, daß er Nachmittags schläft, da kannst du ihm dann den Kopf zerschlagen, wenn du ihm erst seine Bücher genommen hast. Oder du kannst ihn auch mit einem Klotze todt schmeißen, oder mit deinem Messer den Hals aufschneiden. Aber vergiß nicht, ihm zuerst seine Bücher wegzunehmen, denn ohne sie[61] ist er so dumm wie ich bin, und hat keinem einzigen Geiste zu befehlen; sie hassen ihn alle, so giftig, wie ich ihn hasse. Darum verbrenne nur seine Bücher. Er hat auch viele wackre Sachen, womit er sein Haus einrichten will, wenn er erst ein Haus hat. Was aber von allem am besten und am schönsten ist, das ist seine Tochter, er selber nennt sie unvergleichlich. Ich sah kein andres Weib, als nur Sykorax, meine Mutter, und sie, aber sie übertrifft die Sykorax so sehr, wie das Größte das Kleinste.

Steph. Sie ist also hübsch?

Calib. Ja, mein Gebieter; ich versichre dich, sie wird dein Bett zieren, und dir eine brave Zucht bringen.

Steph. Ungeheuer, ich will den Mann umbringen; seine Tochter und ich wollen König und Königinn seyn. Gott erhalte unsre Majestäten! und Trinkulo und du, ihr sollt Vicekönige seyn. — Ist's dir so recht, Trinkulo?

Trink. Vortreflich.

Steph. Gieb mir die Hand, es thut mir leid, daß ich dich geschlagen habe: aber so lange du lebst, halte deine Zunge in Schranken.

Calib. In einer halben Stunde wird er wohl eingeschlafen seyn; willst du ihn dann umbringen?

Steph. Ja, auf meine Ehre.

Ariel. Das will ich meinem Herrn erzählen.[62]

Calib. Du machst mich ganz lustig; ich bin herzensvergnügt. Wollen uns eine Freude machen. — Wollen wir den Gesang singen, den ihr mich erst gelehrt habt?

Steph. Auf deine Vorbitte, Ungeheuer. — Du meynst den Gassenhauer?

Calib. Gassenhauer nennt ihr das? — Nun mag es heißen wie es will, so ist es ein göttlicher Gassenhauer.

Stephano.

Beschreibe mir Schlaraffenland!

Trinkulo.

Die Sitten von Schlaraffenland
Sind jedem Kinde ja bekannt.

Caliban.

Den Kindern sind sie ja bekannt,
Die Sitten in Schlaraffenland:
Ein Mädchen im Arm, und ein Glas in der Hand!

Alle drey.

Die Sitten in Schlaraffenland
Sind allen Narren ja bekannt:
Ein Mädchen im Arm, und ein Glas in der Hand;
O fänden wir baldigst das herrliche Land!
[63]

Stephano.

Erzähle weiter, lieber Sohn.

Trinkulo.

Ein jeder braver Erdensohn
Bekömmt fürs Schlafen starken Lohn.

Caliban.

Fürs Schlafen kriegt man reichen Lohn,
Der allerbravste Erdensohn,
Der zehnmal am Tische sitzt, den fürstlichen Throne.

Alle drey.

Verdienste ärndten dort den Lohn;
Wer zehnmal ißt, bekömmt die Kron':
O wär' ich im preislichen Lande doch schon,
Ich erbte wahrhaftig den fürstlichen Thron.

Ariel.

(fängt an, die Melodie des Liedes auf einer Pfeife zu spielen, und singt dann leiser, mit Begleitung einer Handtrommel.)

Ey ey! ha ha! die Narren da!
La la! zum Lachen! ha ha ha!
La la la! ha ha ha! zum Lachen! ha ha!
Hi hi hi! ha ha ha! die Narren! ha ha!

Steph. Was ist das?

Trink. Unser Lied![64]

Steph. Bist du ein Mensch, so zeige dich in deiner wahren Gestalt; bist du der Teufel, so zeige dich wie du Lust hast.

Trink. O vergieb mir meine Sünden!

Steph. Wer stirbt bezahlt alle seine Schulden. — Ich biete dir Trotz!

Trink. Der Himmel steh' uns bey!

Caliban. Fürchtest du dich?

Steph. Nein, Ungeheuer, ich nicht.

Calib. Du mußt dich nicht fürchten. Die Insel ist voll von Getöse, von allerley Tönen, auch von schönen Melodien, die hübsch klingen, und keinem etwas thun. Manchmal sumsen tausend klimpernde Instrumente um mein Ohr, manchmal Stimmen, die, wenn ich auch eben aus einem langen Schlaf aufwachte, mich doch wieder schläfrig machen würden. Im Traum ist mir dann, als wenn sich die Wolken aufthäten, dann seh' ich glänzende Sachen, die auf mich sollen heruntergeschüttet werden; wenn ich dann aufwache, schrey' und wein' ich, um wieder einzuschlafen.

Steph. Das wird ein wackres Königreich für mich seyn; ich werde meine Musik umsonst haben.

Calib. Wenn Prospero todt ist.

Steph. Das soll geschehn; ich hab' es nicht vergessen.

Trink. Wir wollen gehn. [65]

(Ariel geht voran, und spielt einen Marsch; hinter ihm Caliban, ihm folgt Stephano, dann Trinkulo.)

Steph. Ich wollte ich könnte diesen Trommelschläger sehn. — Nun, willst du nicht kommen?

Trink. Ich folge dir, Stephano.

(Alle gehen ab.)



Dritte Scene.

(Eine andre Gegend der Insel.)

Alonso, Sebastian, Anthonio, Gonzalo, Adrian, Francesco, und Gefolge.)

Gonz. Beym Himmel, ich kann nicht weiter, mein König: meine alten Knochen schmerzen mich; wir gehen hier durch lauter Irrwege und Labyrinthe. Mit Eurer Erlaubnis, ich muß hier ausruhen.

Alonso. Ich kan dich nicht tadeln, alter Mann, denn ich bin selbst bis zur Betäubung meiner Lebensgeister abgemattet; setze dich und ruhe aus. Ich will nun meine Hoffnung aufgeben, und sie nicht länger wie einen Schmeichler beherbergen: er ist ertrunken, nach dem wir so herumirren, und die See spottet unsers vergeblichen Suchens auf dem Lande. — Nun gut! so mag er denn todt seyn!

Anthon. (bey Seite zu Sebastian) Ich freue mich, daß er alle Hoffnung aufgiebt. Laß nur nicht, eines fehlgeschlagnen Versuchs wegen, deinen Vorsatz fahren.[66]

Sebast. Wir wollen die nächste Gelegenheit benutzen.

Anth. Diese Nacht, denn sie sind vom Herumwandern so ermüdet, daß sie nicht so wachsam seyn können und wollen, als wenn sie frisch wären.

Sebast. Gut, diese Nacht! — Nichts mehr.

(Eine seltsame und feyerliche Musik; sonderbare Gestalten treten auf, Prospero unsichtbar an ihrer Spitze.)

Chor der Geister.

Willkommen hier auf diesem Strande,
Ihr Fremdling' aus dem fernen Lande!
Wir grüßen Euch durch frohe Lieder,
Drum kommt, vertraut uns, setzt Euch nieder
Und labt mit Speise, labt mit Trank,
Den heißen Gaumen, stärkt die müden Glieder
Mit Speisen und durch süßen Trank:
Vertraut uns; dies sey Euer Dank!

(Ein pantomimischer Tanz, während dessen eine Tafel mit Speisen und Getränk hereingebracht wird; man bittet den König und seine Gefährten, sich niederzusetzen und zu essen.)

Chor.

Wenn Verbrechen
Eure Herzen nicht zerbrechen,
Wenn kein Frevel auf Euch liegt;
[67] O so nahet,
Und empfahet,
Was wir, gesandt von unserm Herrn,
Mit gutem Willen bringen gern.
Drum, wenn kein Frevel auf Euch liegt,
So eßt und trinkt und seyd vergnügt!

(Die Pantomime des Einladens dauert fort; ein flüchtiger Geistertanz; sie verschwinden plötzlich; eben so bricht die Musik plötzlich ab.)

Alonso. Was war das?

Anth. Nun will ich alles glauben, was man mir je Wunderbares erzählt hat.

Sebast. Alles Unbegreifliche komme zu mir, und ich will schwören, es sey wahr. Reisebeschreiber haben nie gelogen, obgleich Narren hinterm Ofen sie dessen beschuldigen.

Gonz. Würde man mir glauben, wenn ich dies in Neapel erzählte? — Gewiß sind dies die Bewohner dieser Insel, und sie sind eben so freundlich und leutselig, als ihre Bildung mißgestaltet und abentheuerlich ist.

Francesco. Sie verschwanden auf eine seltsame Art.

Sebast. Einerley, da sie uns ihre Speisen zurückgelassen haben; denn wir haben Hunger. — Wollt ihr nicht zugreifen?[68]

Alonso. Ich nicht.

Gonz. Wahrhaftig, mein König, ihr habt nicht Ursache, besorgt zu seyn.

Alonso. Nun gut, so will ich denn essen, und wenn es mein letztes seyn sollte: es ist einerley, denn ich fühle doch, daß das Beste weg ist. — Bruder, Herzog, ihr alle, kommt und folgt meinem Beyspiel.

(Sie setzen sich um den Tisch. — Plötzlich Donner und Blitz, die Scene verfinstert sich, Ariel springt in Gestalt einer Furie auf die Tafel, alle fahren erschrocken auf.)

Ariel.

Ihr seyd drey Männer der Sünde! das Schicksal,
Dem die Welt gehorcht, gebot der Nimmersatten See,
An dies Gestad' Euch auszuwerfen.
An dies Gestade, das kein Mensch bewohnt,
Denn unter Menschen zu leben
Seyd ihr nicht würdig.
Um Euer Elend zu vollenden, hab' ich noch
Wahnsinnig Euch gemacht. —

(Alonso, Sebastian und Anthonio ziehen die Schwerdter, und stoßen wahnsinnig nach Ariel; die Schwerdter entfallen ihrer Hand.)[69]

Ihr Thoren!
Ich bin, und so sind meine Gefährten,
Des Schicksals Diener!
Ihr könntet eben so leicht mit euren irrd'schen Schwerdtern
Den lauten Sturm,
Die zusammenschließende Fluth verwunden!
So unverletzlich sind auch meine Diener.
Vermöchtet Ihr's, so sind doch Eure Waffen
Für Euren Arm zu schwer, Ihr könnt sie nicht
Vom Boden heben.
Gedenkt, denn dazu ward ich hergesandt,
Daß drey von euch, aus Mayland
Den edlen Prospero verjagten, ihn,
Sein schuldlos Kind, den Fluthen Preis gegeben!
Für diese Frevelthat
Haben die rächenden Mächte jetzt
Die See, die Küste, ja die ganze Schöpfung gegen euch empört!
Dich deines Sohns beraubt, Alonso!
Und jetzt verkünd' ich euch
Ein langsam, schleichend Elend,
Das, schlimmer als der Tod, euch Schritt für Schritt verfolgt!
[70]

(Ariel verschwindet im Donner. — Eine sanfte, ankündigende Musik; mit seltsamen Gebehrden treten die Geister wieder auf.)

Chor der Geister.

Willkommen hier auf diesem Strande,
Ihr Fremdling' aus dem fernen Lande!
Durch Speis' und Trank
Seyd ihr erquickt:
Für das Vertraun zu sagen Dank,
Sind wir von Eurem Wirth geschickt.

(Pantomimischer Tanz der Geister, während dessen einige von ihnen die Tafel wegtragen. Die Geister verspotten die Fremden.)

Chor.

Warum steht Ihr
In der Ferne?
Warum verschmäht Ihr,
Was wir gerne
Dargebracht? — —
Auf! auf! zum lustigen Reigen,
Und scherzt und lacht!
Faßt Hand in Hand,
Und schlinget ein luftiges, gaukelndes Band!
Denn seht, die Gäste schweigen,
Und neigen
Das Haupt zur Brust hinab.
[71] Tanzt auf und ab!
In muntern Chören
Die Gäste zu ehren,
Und nach der Tafel, dem stärkenden Wein,
Die traurenden Fremdlinge zu erfreun!

(Ein flüchtiger Geistertanz, in welchem sie noch ihren Spott ausdrücken: dann verschwinden sie.)

Gonz. Im Namen alles Heiligen, mein König, warum steht Ihr in dieser fürchterlichen Erstarrung?

Alonso. O, es ist entsetzlich! — entsetzlich! — Mir war's, als wenn die Wellen redeten und von ihm sprachen, die Winde brausten mir von ihm entgegen, und der tiefe, fürchterliche Donner sprach ihn aus, den Namen Prospero. Er sprach mein Todesurtheil aus. — Darum liegt mein Sohn im Bette des Abgrundes, und ich will ihn jetzt suchen, tiefer als je ein Senkbley fiel, und mit ihm im Schlamm begraben liegen. —

(Er rennt davon.)

Anth. Nur Einen Teufel auf einmal, und ich will mich durch ganze Legionen schlagen!

Sebast. Und ich will dir helfen. —

(Beyde gehen schnell ab.)

[72]

Gonz. Alle drey sind in Verzweiflung. Wie ein Gift, das nach einiger Zeit wirkt, frißt ihre große Schuld jetzt an ihrer Seele.— Ich bitte euch, die ihr biegsamere Gelenke habt, folgt ihnen schnell, und verhindert das, wozu sie der Wahnsinn treiben könnte.

Adrian. Folgt mir, ich bitte euch.

(Alle gehen ab.)




Vierter Aufzug.

[73]

Erste Scene.

(Die Gegend vor Prospero's Wohnung.)

Prospero, Ferdinand, Miranda.

Prospero. Wenn ich dich zu hart behandelt habe, so mag es dieser Ersatz vergüten, denn ich habe dir hier die Hälfte meines Lebens übergeben, oder vielmehr das, wofür ich nur allein lebe. Ich lege ihre Hand noch einmal in die deinige; alles, was du erduldet hast, waren nur Proben deiner Liebe, und du hast auf eine schöne Art die Prüfung überstanden. Hier, im Angesichte des Himmels bestätige ich dies mein kostbares Geschenk. O Ferdinand, lächle nicht über mich, daß ich stolz auf sie bin, denn du wirst finden, daß sie bey weitem alles Lob übertrift.

Ferdin. Ich glaub' es, und gegen einen Orakelspruch.

Prosp. Nun so empfange denn, als mein Geschenk, und zugleich als dein edel erworbenes Eigenthum, empfange meine Tochter. Lösest du aber ihren[74] jungfräulichen Gürtel, ehe alle heiligen Gebräuche, nach altem ehrwürdigen Herkommen, vollzogen sind, so wird der Himmel allen seinen reichen Seegen von eurer Verbindung zurückhalten: ein unfruchtbarer Haß, sauersehender Widerwille und Zwietracht werden dann euer Bette mit so wildem Unkraute bestreuen, daß ihr es selber verabscheuen werdet.

Ferdin. So gewiß ich ruhige Tage hoffe, eine schöne Nachkommenschaft und ein langes Leben, mit einer solchen Liebe, wie die jetzige, so gewiß soll nie mein böser Genius diese Liebe in zügellose Lust verwandeln.

Prosp. Gut gesprochen. So setze dich, und sprich mit ihr; sie ist die deinige. — Ariel! mein ämsiger Diener, Ariel! —

(Ariel tritt auf.)

Ariel. Was befiehlst du, mein mächtiger Beherrscher? Hier bin ich.

Prosp. Du und deine geringeren Gefährten habt vorher euer Geschäft sehr gut ausgerichtet, jetzt will ich euch zu einem andern Spiele brauchen. Geh' und führ' den ganzen Geisterschwarm hieher, muntre sie auf, schnell zu seyn, denn ich muß die Augen dieses jungen Paars mit irgend einem Blendwerke meiner Kunst belustigen. Es ist ein Versprechen von mir, und sie erwarten jetzt die Erfüllung.

Ariel. Sogleich?[75]

Prosp. In einem Augenblick.

Ariel.

Den Diener freut,
Was der Meister gebeut:
In weniger Zeit
Ist alles bereit:
Sie sind nicht weit,
Die mit süßem Klang
Und frohem Gesang
Hier wandeln die blühende Flur entlang,
Mit Tanz und Gesang
Die Flur entlang.
Schon sind sie bereit, schon warten sie froh:
Mein theurer Gebieter, sprich, liebst du mich so?

Prosp. Zärtlich lieb' ich dich, mein süßer Ariel. —

(Ariel gebt ab.)

Prosp. Vergiß nicht dein Versprechen; die stärksten Eide sind oft nur Stroh für das Feuer im Blute. Jetzt komm, mein Ariel. — Gebt Acht. —

(Eine kurze, ankündigende Symphonie. Melida, eine Sylphide, tritt auf.)

Melida.

Wohin seyd ihr entschwunden,
Ihr lieblichen, dämmernden Gestalten?
[76] Bin ich allein erschienen? —
Vernehmt ihr nicht in euren Hainen,
Auf euren lichten Gewölken,
Im duftenden Schooß der Blumen,
Die süßen Töne, die euch rufen?
Schwebt auf lichtem Glanzgefieder
Her aus euren Felsenklüften,
Unter süßen Blumendüften
Sinkt aus bunten Wolken nieder!
O vernehmt im fernen Thal
Was der Herrscher euch befahl.

Chor von Sylphen und Sylphiden.

(Anfangs ganz in der Ferne, dann immer näher: beym Schluß des Chors sind alle Geister auf der Bühne versammelt.)

Wir kommen, wir kommen,
Wir haben vernommen,
In hohen Lüften,
In Felsenklüften,
Im einsamsten Thal,
Was der Herrscher befahl.

Melida.

Der gütige Gebieter
Befiehlt uns seine Gäste zu ergötzen;
[77] Es labt sein freundlich-milder Sinn
Wohlwollend sich an unsrer Freude:
Drum drückt euch in die Arme der Geliebten,
Und küßt die zarten Lippen, küßt die zarten Wangen,
Und, edle Seelen zu ergötzen,
Singt eure Freude, euer Glück.

Chor der Geister (mit Tänzen.)

Uns Sylphen und Sylphiden,
Mit buntem, gaukelndem Sinn,
Entfliehn im ew'gen Frieden,
Von Mensch und Welt geschieden,
Die tanzenden Stunden dahin.
Wir schwärmen im Hain,
Im Abendschein,
Und schlafen im Dunkeln,
Wenn Sterne funkeln,
In Blüthen ein:
Und die düstern
Wipfel flüstern
Schlafgesang. —
Im leuchtenden Morgenstrahle
Küßt der Sylphe der Sylphide,
[78] Im blühenden Thale,
Den letzten Schlaf vom Augenliede.
Still und rein,
Wie Mondenschein,
Leuchtet uns die holde Liebe!
Liebe! Liebe! holde Liebe!

(Beym Schluß des Chors haben die Geister sich leise von der Bühne entfernt.)

Ferdin. Darf ich glauben, daß diese schöne Erscheinungen nur Geister sind?

Prosp. Geister, die ich durch meine Kunst aus ihren Bezirken hieher gerufen habe, um meine Phantasien auszuführen.

Ferdin. O laß mich hier immer leben! ein so wundervoller Vater, und dieses Weib, machen diese Gegend zu einem Paradiese.

(Ariel tritt auf.)

Ariel.

Welche Töne flüsterten durch das Gebüsch?
Welch leiser, lieblicher Nachhall zieht
So wonniglich durch die wankenden Blumen hin? —
Welche frohe Ahndung erfüllt mein Herz? —
O kehrt zurück mit euren Gesängen!
Und singt mir Trost,
Und singt mir Muth
[79] In meine leere Seele! —
Ich irre rastlos,
Durch Busch, durch Thal,
Erklimme Felsen,
Und strecke mit pochender Brust
Die Arme sehnsuchtsvoll
Dem Frühlingsschein entgegen:
Doch abgewandt entfliehen die Freuden, —
Wohin ich wandle,
Neigt sich die lachende Rose abwärts,
Der Hain rauscht ernster,
Und seine bunten Sänger werden stumm.
Ach! wann, wann wird doch enden
Die Sehnsucht, die mich quält?
Und welcher Gott kann senden,
Was diesem Herzen fehlt?
(Das vorige Chor, ganz in der Ferne.)
Liebe! Liebe! holde Liebe!

Ariel.

Ha! enthüllet
Und gestillet
Ist dem Bangen
Sein Verlangen!
[80]
Liebe, Liebe fehlte meinem Herzen,
Darum, darum fühlt' ich diese Schmerzen. —
Die Götter enden,
Und schenken Ruh,
Die Güt'gen senden
Dem Armen die Geliebte zu!

(Das Geisterchor ist indeß zurückgekommen, und Ariel fliegt in die Arme der Melida.)

Ariel.

O seel'ger, seel'ger Augenblick!
Es ist gelungen,
Nun hab' ich errungen
Des Lebens wonnevollstes Glück!

Melida.

Ich drücke dich hier an mein Herz,
Daß ich ihn mindre,
Und kosend dir lindre
Den unglückseel'gen, bangen Schmerz.

Ariel.

Es öffnet pochend sich die Brust
Dem schönsten Glücke.

Melida.

Geliebter, ich drücke
Ans Herz dich nun mit Götterlust.
[81]

Beyde.

Ha! wie Entzücken
Aus deinen Blicken
Zu meinem Geiste spricht!
Wahrlich, ich neide
Den Göttern die Freude
Des Himmels nicht!

Chor der Geister (mit Tänzen.)

Des Lebens May
Ist Lieb' allein:
Sie wandelt neu
Den grünen Hain;
Ihr Frühlingsschein
Lockt aus den Zweigen
Die Blüthen hervor.
Da endet das Schweigen,
Ein lautes Nachtigallenchor
Begrüßt den Lenz; die Wipfel neigen
Mit stiller Andacht sich hernieder,
Und säuseln in die süßen Lieder.
Wollüst'ge Töne schleichen
Durch Wälder, übern Felsenhang,
[82] Und tausendjähr'ge Eichen
Stimmen in den jauchzenden Rundgesang.
Der Chorgesang schallt
Durch Thal und Flur,
Ueber die Felsen, dahin durch den Wald;
Laut klingen alle Saiten der Natur!
Und alles tönt in einem allmächtigen Klang
Der hohen Liebe Lobgesang! —

(Der Tanz dauert fort. Prospero steht plötzlich auf.)

Prosp. Ich hatte die schändliche Verschwörung des Viehes Caliban und seiner Gesellen, gegen mein Leben, vergessen. — Der Augenblick, ihr Vorhaben auszuführen, ist da. — (zu den Geistern) Gut! — hinweg! — nichts mehr! —

(Die Geister verschwinden plötzlich unter einem dumpfen Getöse, eben so die Musik.)

Ferd. Seltsam! — Dein Vater fällt plötzlich in eine Leidenschaft, die ihn heftig ängstigt.

Mir. Zum erstenmale seh' ich ihn in solcher Wuth.

Prosp. Du betrachtest mich, mein Sohn, und bist bestürtzt. — Sey ruhig. — Unsre Spiele sind geendigt. —

Wie ich dir sagte, diese Spieler waren Geister; — sie zerschmolzen in Luft, in dünne Luft. —

Wie diese wesenlosen Luftgebilde, so werden wolkenbekränzte Thürme, — herrliche Palläste,— ehr[83]würdige Tempel, — die große Erde selbst, — ja, alles in ihr, auf ihr, wird zerstieben, — und, so wie dieses leere Schattenbild verschwand, — nicht eine Spur zurücke lassen. —

Wir sind solcher Stoff, woraus die Träume gemacht sind, — und die Spanne unsers Lebens ist rund mit einem Schlaf umgeben. — — —

Ich bin in Verwirrung, — habt Geduld mit meiner Schwäche; mein altes Gehirn ist in Unordnung. — Laßt euch durch meine Schwachheit nicht stören. — Wenn es euch gefällt, so geht in meine Wohnung, und ruht dort aus. — Ich will ein- oder zweymal auf- und abgehen, um mein Herz zur Ruhe zu bringen.

Ferd.}

} Wir wünschen dir Ruhe.

Mir.  }

(Sie gehen in die Hütte.)

Prosp. Komm schnell, wie ein Gedanke. — Ich danke dir. — Ariel komm!

(Ariel tritt auf.)

Ariel. Ich schmiege mich an deine Gedanken. — Was ist dein Befehl?

Prosp. Geist, wir müssen uns rüsten, Caliban zu bekämpfen.

Ariel. Ja, mein Gebieter, ich wollte dich schon während des Schauspiels daran erinnern, aber ich fürchtete, dich verdrüßlich zu machen.[84]

Prosp. Sage, wo verließest du diese Nichtswürdigen?

Ariel. Wie ich dir sagte, Herr, sie waren von Besoffenheit roth und heiß; so voll von Tapferkeit, daß sie die Luft schlugen, weil sie ihnen ins Gesicht wehte, den Boden stampften, weil er ihre Füße küßte: aber sie vergaßen dabey nicht ihr Vorhaben. Ich schlug nun meine Trommel, und wie unberittene Füllen spitzten sie ihre Ohren, zogen die Augenlieder in die Höhe, und hoben die Nasen auf, als wenn sie Musik röchen. Ich bezauberte ihre Ohren so, daß sie mir wie Kälber folgten, durch stachlichtes Gesträuch und Disteln und Dornen. Endlich ließ ich sie in dem Morast hinter deiner Wohnung, wo sie bis an die Knie hineinsanken.

Prosp. Gut, mein Vogel; behalte deine Unsichtbarkeit. Hohle die abgetragenen Kleider aus meinem Hause, um diese Diebe in Versuchung zu führen.

Ariel. Ich geh', ich gehe. (Er geht ab)

Prosp. Ein Teufel, ein gebohrner Teufel ist er, an dessen Natur keine Erziehung haftet; gänzlich ist meine Mühe, die ich mir menschenfreundlich gab, verlohren; gänzlich, durchaus verlohren. So wie mit jedem Tage sein Körper häßlicher wird, so wird auch seine Seele abscheulicher.

(Ariel kömmt, mit verschiedenen reichen Kleidern.)

Prosp. Komm, hänge dies an diese Schnur. — Ich will sie durch meine Kobolde mit Zuckungen zer[85]malmen lassen; Krämpfe sollen ihre Sehnen zusammenziehen, und fleckigt sollen sie gezwickt werden, wie das Panterthier. — Ich will sie weidlich unter ihrem Heulen herumjagen lassen.

(Ariel und Prospero gehen ab.)

(Caliban, Stephano und Trinkulo treten auf.)

Calib. Bitt' euch, tretet leise auf, daß der blinde Maulwurf keinen Fuß fallen hört; wir sind ganz nahe bey seiner Wohnung.

Steph. Ungeheuer, euer Geist da, der, wie ihr sagt, ein Geist ist, der einem nichts zu Leide thut, hat nichts mehr gethan, als uns wacker zum Narren gehabt. — Hört ihr nicht, Ungeheuer? Wenn ich einen Unwillen gegen euch fassen sollte, seht ihr —

Trink. Da wärst du ein verlohrnes Ungeheuer.

Calib. Mein guter Herr, erhalte mir deine Gunst. Sey nur ruhig, denn der Gewinnst, zu dem ich dich führen will, soll das Unglück wieder gut machen. — Sprich nur leise; — alles ist so still, wie um Mitternacht.

Trink. Ja, aber unsre Flasche im Sumpf zu verlieren!

Steph. Ungeheuer, es ist nicht nur Schimpf und Schande dabey, sondern auch ein unersetzlicher Verlust.[86]

Trink. Darüber gräm' ich mich vorzüglich; — ja, und das ist dein Geist, Ungeheuer, der niemand Leides thut.

Steph. Ich muß meine Flasche wiederhohlen, und sollt' ich für meine Mühe bis über die Ohren hineinplumpen.

Calib. Bitte dich, mein König, sey ruhig. — Siehst du hier, das ist der Eingang des Hauses. — Nur still, und geh' hinein. — Thu' das heilsame Unheil, und die Insel ist dein für immer, und ich bin dein Caliban, auf ewig dein Knecht.

Steph. Gieb mir deine Hand. — Ich fange an blutige Gedanken zu kriegen.

Trink. O König Stephano! Sieh hier deine königliche Garderobe!

Calib. Laß es hängen, du Narr, das ist nur Plunder.

Trink. Oho, Ungeheuer! — Wir verstehen uns wahrhaftig auch wohl auf Plunder. — O König Stephano!

Steph. Nimm den Rock herunter, Trinkulo, beym Element! ich will diesen Rock haben.

Trink. Deine Hoheit soll ihn bekommen.

Calib. Daß der Narr die Wassersucht kriegte! Seyd ihr klug, daß ihr euch mit den Lumpen hier aufhaltet? — Laßt uns gehn, und erst den Mord verrichten; wenn er aufwacht, so wird er uns vom Kopf bis zur Zehe zerkneipen lassen.[87]

Steph. Sey nur ruhig, Ungeheuer! — Ist das nicht mein Wamms hier?

Trink. Wir stehlen hier nach der Schnur, wenn's Euer Gnaden beliebt.

Steph. Ich danke dir für den Spaß, da ist ein Kleid dafür. Witz soll nicht unbelohnt bleiben, so lange ich König dieses Landes bin. — Nach der Schnur stehlen; das ist ein vortreflicher Ausdruck: da ist noch ein Kleid dafür!

Trink. Komm, Ungeheuer, thu' etwas Vogelleim an deine Finger, und fort mit allem übrigen.

Calib. Ich will nichts davon; wir verlieren unsre Zeit, und werden alle in Gänse verwandelt werden, oder Affen, mit verdammt niedrigen Stirnen.

Steph. Ungeheuer, hilf Hand anlegen. Trage dies dahin, wo mein Weinfaß liegt, oder ich will dich aus meinem Königreiche verbannen. Geh', trage das.

Trink. Und das.

Steph. Ja, und das.

(Eine verwirrte Jagdmusik aus der Ferne; Gebell von Hunden. Geister treten auf in seltsamen und fürchterlichen Jägergestalten, mit Spießen und Bogen bewaffnet.)

[88]

Chor der Geister!

Hieher! Hieher!
Die Kreuz und die Queer
Jagt tobend und brausend das wüthende Heer!
Es bellen die Hunde!
Bau, Vau!
Bau, Vau!
Es dröhnt in die Runde
Mit jauchzendem Schall
Des Hüfthorns Schmettern durch Busch und durch Thal!
Trarah! Trarah!
Trarah! Trarah!
Auf! muntre Genossen,
Und stürzt unverdrossen
Dem Wildprete nach!
Herbey! herbey!
Hört der Hunde Geschrey!
Es tönt jauchzend das Horn —
Ihnen nach, durch die Disteln und stechenden Dorn!
Jagt sie ab, jagt sie auf,
Im fliegenden Lauf!
Auf! muntre Genosen!
Stürtzt unverdrossen
[89] Zur Jagd, zur Jagd, zur Jagd herbey!
Der Hunds Geschrey,
Der Hörner Klang,
Ermuntert uns alle zum glücklichen Fang!
Hieher! hieher!
Die Kreuz und die Queer
Jagt tobend und brausend das wüthende Heer!

(Sie jagen Caliban, Stephano und Trinkulo umher, und stürzen ihnen nach.)




Fünfter Aufzug.

[90]

(Vor Prospero's Wohnung.)

Erste Scene.

Prospero (in seinem magischen Gewande) und Ariel.

Prospero. Nun kömmt mein Entwurf zur Reife; meine Bezauberungen wirken, meine Geister gehorchen, und die Zeit geht aufrecht mit ihrer Bürde. — Wie viel ist's am Tage?

Ariel. Um die sechste Stunde. — Um diese Zeit, mein Gebieter, sagtest du, sollte unsre Arbeit gethan seyn.

Prosp. Das sagt' ich gleich, als ich den Sturm zuerst erregte. — Sage mir, mein Geist, was macht der König und seine Gefährten?

Ariel. Sie sind alle zusammengebannt, so wie du es gebothest, noch eben so, wie du sie verlassen hast; alle stehn als Gefangene in dem kleinen Walde, der deine Wohnung vor dem Wetter schützt. Sie können sich nicht bewegen, bis du sie frey machst. Der König, sein Bruder, und der deinige, stehen in einer dumpfen Betäubung, im tiefen Jammer stehn die übrigen umher, und betrachten[91] sie mit nassen Augen, vorzüglich Ein Mann, den du immer den guten alten Gonzalo nennst; seine Thränen laufen über seinen Bart, wie Eistropfen von einem rohrgedeckten Dache. Dein Zauber wirkt so heftig auf sie, daß, wenn du sie jetzt sehn solltest, dein Zorn sich gewiß in Mitleid auflösen würde.

Prosp. Meinst du das, Geist?

Ariel. Ich würde meinen Zorn vergessen, wenn ich ein Mensch wäre.

Prosp. Und auch ich will es. Hast du, der du nur Luft bist, eine Ahndung, ein Gefühl von ihren Leiden, und ich selbst, einer ihrer Art, der dieselben Empfindungen hat, sollte nicht inniger gerührt werden, als du? — Ob sie mich gleich durch schwere Beleidigungen verwundet haben, so soll doch meine edlere Vernunft meinen Haß überwältigen. Verzeihung ist menschlicher, als Rache. — Sie bereuen: das ist genug! Kein zorniger Blick soll sie weiter strafen. — Geh' Ariel, und mache sie frey; ich will meinen Zauber lösen, ihre Sinne erwecken, und sie sich selber zurückgeben.

Ariel. Ich will sie herführen, mein Gebieter.

(Er geht ab.)

Prosp. Ihr Elfen der Hügel, — der Bäche, — der stehenden Seen, — und Wälder! — Und ihr, die ihr auf Sandbänken bey der Ebbe mit luftigem Fuße hüpft, und entflieht, wann die Fluth zurückkömmt! — Ihr kleinen Geister, die ihr beym Schein des Mondes[92] kleine Ringe im Grase zieht, — und ihr, die ihr um Mitternacht zum Spiele Schwämme bildet, — die ihr euch freut, die feyerliche Abendklocke zu vernehmen, — durch deren Hülfe, so klein ihr seyd, ich die Mittagssonne verfinstert, — die widerspenstigen Winde herbeygerufen, und zwischen der grünen See und dem blauen Gewölbe lauten Krieg erregt. — Dem furchtbar-rasselnden Donner gab ich Feuer, — und spaltete Jupiters stattliche Eiche mit seinem eignen Donnerkeil. — Das festgegründete Vorgebirge ließ ich zittern,— ich raufte Fichten und Cedern zusammt den Wurzeln aus. — Die Gräber schüttelten auf mein Gebot die Schläfer wach, — sie öffneten sich, und ließen sie frey, von meiner gewaltigen Kunst gezwungen. —

Aber hier schwör' ich diese wilde Zauberkunst ab. — Ertöne, himmlische Musik, um ihre Sinne zu erwecken, auf denen ein luft'ger Zauber liegt, — dann will ich meinen Stab zerbrechen, — und klaftertief ihn in die Erde vergraben, — mein Buch will ich ins Meer versenken, — tiefer als ein Senkbley jemals fiel! — —

(Feyerliche Musik.)

(Ariel kömmt, ihm folgt Alonso, betäubt und wie wahnsinnig, Gonzalo begleitet ihn; dann Sebastian und Anthonio, eben so von Adrian und Francesco geführt. Sie treten alle in den Kreis, den Prospero gemacht hat, und bleiben da bezaubert stehn.)

[93]

Prosp. Die Zauberkraft der Musik heile eure zerrüttete Phantasie. — Hier steht, denn ihr seyd alle fest gezaubert! —

Ehrwürdiger Gonzalo, edler Mann, meine Augen weinen sympathetisch mit den deinigen. — Der Zauber zerfließt allmählig, — und wie der Morgen die Nacht überrascht, und die Finsternis hinwegschmelzt, — so verjagen ihre erwachenden Sinne den dicken Nebel, der verfinsternd auf ihrer Seele lag. — O guter Gonzalo, mein edler Beschützer und treuer Diener deines Königs; — in der Heimath will ich dir durch Wort und That deinen Edelmuth vergelten. —

O Alonso, du warst grausam gegen mich und meine Tochter; —

Dein Bruder war ein Beförderer deines harten Unternehmens, — dafür, Sebastian, wirst du jetzt gefoltert. —

Du, mein Bruder, der Gewissen und Natur seinem Ehrgeiz opferte, — der mit Sebastian, dessen innerer Schmerz um so größer ist, seinen König ermorden wollte, — ich vergebe dir, so unnatürlich du auch bist. —

Ihre Vernunft fängt an zu schwellen, — bald wird die wiederkehrende Fluth das Gestade der Vernunft anfüllen, das jetzt faul und sumpfig liegt. — Noch keiner von ihnen erkennt mich, oder sieht mich an. — —

Ariel, hole meinen Hut und Degen aus meiner Wohnung, ich will mich ihnen so zeigen, wie ich als[94] Herzog von Mayland war. (Ariel geht ab.) Schnell mein Geist, bald bist du frey.

(Ariel kömmt zurück und hilft ihn ankleiden, indem er singt.)

Ariel.

Bald bin ich befreyt,
O goldne Zeit!
Dann schlaf' und träum' ich ohne Sorgen,
Wenn dumpf bey Nacht die Eule schreyt,
Im duftenden Schooße der Primel verborgen.
Ich flieg' in die Runde,
Und necke die Rosen
Und stehle mit Kosen
Zu jeglicher Stunde
Balsamische Küsse dem purpurnen Munde.
Mit Bienenschwärmen durchzieh' ich die Au'
Und trinke von Blumen den Morgenthau.
Wenn die fröhlichen Lieder
Der Lerche verstummen, der Sommer entflieht,
Die wandernde Schwalbe den Himmel durchzieht;
Dann häng' ich mich still an der Schwalbe Gefieder,
Und fliege vor Regen und Ungemach
Dem warmen, lieblichen Sommer nach.
[95] Im Sonnenschein,
Im blühenden Hayn,
Wird bald meine glückliche Heimath seyn!
Ich springe
Von Baum zu Baum, und singe
Im Wettgesange durch Busch und Thal
Mit der holden Sängerinn Nachtigall,
Mit der Nachtigall!
O goldne Zeit,
Bald bin ich befreyt!

Prosp. Gut, das ist mein wackrer Ariel; ich werde dich vermissen, aber du sollst doch deine Freyheit haben. — So, so. — Jetzt, unsichtbar wie du bist, zu des Königs Schiffe: dort wirst du die Matrosen im Raum schlafend finden. Wecke den Patron und Bootsmann auf, und bringe sie hieher. Aber hurtig, ich bitte dich.

Ariel. Ich trinke die Luft vor mir weg.

(Er geht ab.)

Gonz. Nichts als Quaal, Verwirrung, Schrecken und Entsetzen wohnen hier. Ihr himmlischen Mächte! führt uns fort aus dieser fürchterlichen Gegend!

Prosp. Sieh hier, o König, den gekränkten Herzog von Mayland, Prospero. Um dich zu überzeugen, daß ein lebendiger Fürst zu dir spricht, um[96]arme ich dich, und sage dir, und deinen Gefährten ein herzliches: Willkommen.

Alonso. Ich weiß nicht, ob du es selbst bist, oder ein bezaubertes Phantom, wie ich so eben selbst war. — Ich fühle das Schlagen deines Herzens, und seit ich dich sehe, vermindert sich die Bangigkeit, in welche mich, wie ich fürchte, ein Wahnsinn versetzte. Ist alles hier wirklich, so muß es einen seltsamen Zusammenhang haben. — Ich gebe dir dein Herzogthum zurück, und bitte dich, vergieb mir, daß ich dich beleidigt habe. — Aber wie kann Prospero leben und hier seyn?

Prosp. (zu Gonzalo) Laß dich, alter, edler Freund, umarmen; du dessen Redlichkeit unschätzbar und ohne Gränzen ist.

Gonz. Ich wollte nicht darauf schwören, ob alles hier wirklich ist, oder nicht.

Prosp. Ihr seyd noch von einigen Seltsamkeiten dieser Insel so betäubt, daß ihr an allen Dingen zweifelt. — Willkommen hier, alle meine Freunde! — (leise zu Anthonio und Sebastian) Wenn ich wollte, so könnte ich euch beyden den Zorn des Königs zuziehn, und beweisen, daß ihr Verräther seyd: aber ich will jetzt keine Geschichten erzählen.

Anth. Der Teufel spricht aus ihm!

Prosp. Dir, boshafter Bruder, vergeb' ich alle deine Verbrechen, und fordre dafür nur mein[97] Herzogthum zurück, welches du mir nicht verweigern kannst.

Alonso. Wenn du Prospero bist, so sage uns, wie du erhalten wurdest, wie du uns hier fandest, die wir heute an dieser Insel Schiffbruch litten, — in welchem ich, — o wie schmerzlich ist die Erinnerung! — meinen geliebten Sohn Ferdinand verlohr!

Prosp. Ich bedaure dich, mein König.

Alonso. Der Verlust ist unersetzlich; selbst die Geduld vermag nicht ihn zu heilen.

Prosp. Ich glaube nur, du hast ihre Hülfe nicht gesucht; denn ihre sanfte Stimme hat mich über einen ähnlichen Verlust getröstet.

Alonso. Du einen ähnlichen Verlust?

Prosp. Ich habe meine Tochter verlohren!

Alonso. Eine Tochter? — O Himmel! wären sie doch beyde lebend in Neapel, um König und Königinn dort zu seyn! Gern wollt' ich dann in dem nassen Bette liegen, worin mein Sohn jetzt liegt. — Wann verlohrst du deine Tochter?

Prosp. In diesem Sturm. — Aber seyd mir hier willkommen, mein König; dort steht meine Wohnung. — Ich bitte dich, sieh hinein: Du hast mir mein Herzogthum wiedergegeben, und ich will dir etwas zurückgeben, was eben so viel werth ist![98]

(Er öffnet die Thür des Hauses, man sieht Ferdinand und Miranda, die Schach miteinander spielen.)

Alonso. Ist das eine von den Erscheinungen dieser Insel, so werde ich einen geliebten Sohn zweymal verlieren.

Sebast. (für sich ) Ein rechtes Wunderwerk!

Ferd. (stürzt hervor, und kniet vor seinem Vater) Wenn die Wellen auch drohen, so sind sie doch mitleidig; ich habe ihnen ohne Ursach geflucht!

Alonso. Allen Seegen eines erfreuten Vaters auf dein Haupt! — Steh' auf und sage mir, wie du hieherkamst?

Mir. O Wunder! Wie viel gute Geschöpfe sind hier beysammen! — Wie schön ist das menschliche Geschlecht! O herrliche neue Welt, die solche Einwohner hat!

Prosp. Das ist für dich etwas Neues.

Alonso. Wer ist dies Mädchen? Ist sie die Gottheit, die uns getrennt und wieder vereinigt hat?

Ferd. Nein, mein Vater, sie ist eine Sterbliche, und durch den Willen des Schicksals, mein. Ich wählte sie, als ich meinen Vater nicht um Rath fragen konnte, als ich glaubte keinen Vater mehr zu haben. Sie ist die Tochter dieses berühmten Herzogs von Mayland, von dem ich so oft habe erzählen hören, ihn aber bis jetzt nie sah. Von ihm hab' ich ein zweytes Leben empfangen, und dieses Mädchen hat ihn zu meinem zweyten Vater gemacht.[99]

Alonso. Auch ich bin ihr Vater. — Aber, o daß ich mein eignes Kind um Vergebung bitten muß!

Prosp. Halt ein, König! Wir wollen uns nicht durch die Erinnerung an Dinge traurig machen, die jetzt vorüber sind.

Gonz. Ich habe innerlich geweint, sonst würd' ich schon eher geredet haben. Blickt herunter, ihr Götter, und laßt eine seegensvolle Krone auf dieses Paar herniedersinken! denn ihr wart es, die den Weg zeichneten, der uns hieherführte!

Alonso. Ich sage: Amen!

Gonz. So wurde Prospero darum vertrieben, damit seine Nachkommen König von Neapel würden! O freut euch über alle gewöhnliche Freude, und grabt es in Gold auf ewig dauernde Pfeiler!

Alonso (zu Ferdinand und Miranda.) Gebt mir eure Hände. — Gram und Kummer umschling' auf ewig dessen Herz, der euch nicht Freude wünscht.

Gonz. Amen!

(Ariel mit dem Schiffspatron und dem Bootsmann, die ihm erstaunt folgen.)

Gonz. Sieh, mein König, noch mehr von unserer Gesellschaft. — Nu, was giebts neues?

Bootsm. Die beste Neuigkeit ist, daß wir unsern König und unsre Gesellschaft gesund wieder antreffen; nächst diesem, daß unser Schiff, welches wir heute dem Sturme Preis gaben, wieder so ganz, so[100] neu und so wohl getakelt ist, als da wirs zuerst von Stapel laufen ließen.

Ariel. Mein Gebieter, alles dies hab ich gethan, seit ich dich verließ.

Prosp. Mein gewandter Geist!

Alonso. Das sind keine natürliche Begebenheiten! Eine immer wunderbarer, wie die andre! — Wie kamst du hieher?

Bootsm. Wir lagen alle im tiefen Schlaf, ich weiß selbst nicht wie, im Raum zusammengepackt; plötzlich hören wir ein seltsames, verwirrtes Getöse, von Brüllen, Schreyen, Heulen, Rasseln mit Ketten; wir wachten auf. Alles ist still, und sieh da, unser schönes königliches Schiff mit allem Zubehör im besten Zustande! Der Patron springt hin und her, um es recht anzusehn, und wie in einem Traume wurden wir von unsern Kameraden geschieden und plötzlich hieher gebracht.

Prosp. Du ämsiger Diener! Bald sollst du frey seyn.

Alonso. Unbegreiflich!

Prosp. Beunruhige nicht dein Gemüth, mein König, bald will ich dir alles auflösen. — (zu Ariel.) Höre, Geist! Mache Caliban und seine Gefährten frey vom Zauber. — (Ariel geht ab.) — Wie befindest du dich jetzt, mein König? Es fehlen noch ein Paar närrische Kerle von deinem Gefolge, die du vergessen hast.[101]

(Ariel, der Caliban, Stephano und Trinkulo hereintreibt: sie tragen noch die gestohlnen Kleider.)

Steph. Jeder sorge nur für andre, und keiner bekümmere sich weiter um sich; denn alles ist Zufall. — Lustig, du dickes Ungeheuer, lustig!

Trink. Ey! ey! da seh' ich einen erfreulichen Anblick!

Calib. O Setebos! das sind wahrhaftig brave Geister! Wie artig mein Meister ist! Aber ich fürchte er wird mich noch züchtigen.

Sebast. Ha ha! Was sind das für Dinger, Anthonio? — Kann man sie kaufen?

Anthon. Wahrscheinlich, denn einer ist ein vollkommener Fisch, und gewiß feil.

Prosp. Seht doch, was diese Kerle da tragen, und dann sagt mir, ob sie ehrliche Leute sind. — Zwey von diesen Gesellen werdet ihr für die eurigen erkennen; dieses Geschöpf der Finsterniß, muß ich gestehen, gehört mir zu.

Calib. Ich werde zu Tode gezwickt werden.

Alonso. Ist das nicht Stephano, mein trunkner Kellermeister?

Sebast. Er ist wirklich betrunken. — Wo kriegte er Wein?

Alonso. Und Trinkulo ist so voll, daß er taumelt.

Sebast. Wie geht's, Stephano?[102]

Steph. O rührt mich nicht an, ich bin ein einziger Krampf.

Prosp. Du wolltest König von der Insel werden?

Steph. Da wär' ich ein sehr ungesunder König geworden.

Alonso. (auf Caliban zeigend.) Das ist das seltsamste Wesen, das ich je sah.

Prosp. Sein Gemüth ist eben so häßlich, als seine Gestalt. — Geh, Schurke, in meine Wohnung, nimm deine Kameraden mit, und räume alles gut auf, wenn dir deine Begnadigung lieb ist.

Calib. Ja, das will ich, und künftig will ich klüger seyn, und mir um deine Liebe Mühe geben. Was für ein dreydoppelter Esel war ich doch, diesen dummköpfigen Kerl für einen Gott zu halten, und diesen dummköpfigen Narren anzubeten!

Prosp. Nun so geh.

Alonso. Und tragt die Kleider wieder hin, wo ihr sie gefunden habt.

Steph. Oder vielmehr gestohlen.

Prosp. Mein König, ich lade dich und dein Gefolge in meine arme Hütte ein, ihr sollt nur diese einzige Nacht dort ruhen. Ich will dir meine Geschichte erzählen, und dich morgen zu deinem Schiffe, und dann nach Neapel führen, wo wir die Hochzeit unsrer geliebten Kinder feyern wollen. — Ich verspreche euch eine ruhige See, glückliche Winde,[103] und so schnelle Seegel, daß wir deine Flotte bald einhohlen wollen. — Mein Ariel, dies ist deine letzte Arbeit, dann kehre frey zu den Elementen zurück, und lebe wohl. — Tretet herein!

(Alle gehen in Prospero's Wohnung.)

Ariel.

(der zurück geblieben ist.)

O goldne Zeit!
Nun bin ich befreyt!

Chor der Geister.

(die sich von allen Seiten auf der Bühne versammeln.)

O seelige Zeit!
Von der Dienstbarkeit
Sind wir alle befreyt!

Ariel und Melida.

Wir flattern hier,
flattern da,
Bald sind wir uns nah,
Bald fliegst du nach mir.
Ha! für und für
Gebiete hier
Die Lieb' und wir!
[104]

Chor (mit Tänzen.)

Ha! Wonne! Wonne!
Die Seegel schwellen,
Wenn kaum die Sonne
Der Fluth entsteigt;
Wir sausen im Winde
Und führen gelinde
Das Schiff über Wellen,
Die Pfade, die unser Gebieter uns zeigt!
Dann sind wir, o goldne, goldne Zeit,
Auf immer, auf immer vom Dienste befreyt!


Ende.

Fußnoten:

[1] Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Sturm das letzte oder vorletzte Stück Shakespeare's war. Malone setzt die Verfertigung des Sturms in das Jahr 1612, die des Sommernachtstraums in das Jahr 1595, indessen sind seine Beweise nicht überzeugend. Das letztere Stück ward erst 1600 gedruckt; doch wird es 1598 schon erwähnt. Ich möchte es höchstens kurz vor 1598 setzen; denn die inneren Gründe, die Malone für das frühere Datum anführt sind alle unzureichend. Zwar hat das Stück auffallend viele Reime, (und dies ist eins der gültigsten Kennzeichen von Shakspeare's früheren Arbeiten) aber Malone vergaß, daß diese Reime hier nicht so zwecklos, wie in Love's labour lost stehen; in den Feenscenen vorzüglich hatte der Dichter die sehr natürliche Absicht, für die Wirkung des Ganzen sein Stück durch den Reim noch romantischer und musikalischer zu machen.


[2] Manche Leser haben sich, gewiß mit großem Unrecht, Shakspeare als einen dramatischen Improvisatore gedacht, der sich niedersetzte, um ein Stück zu schreiben, von dem er weder die Anlage, noch die Ausführung, sondern nur die Geschichte im allgemeinen, wußte. Wäre etwas ähnliches der Fall gewesen, so hätten wir weit mehr Ursach, den glücklichen Zufall, als sein Genie zu bewundern. — Aber es finden sich unverkennbare Spuren, daß er über seine Pläne, besonders in seinen spätern Arbeiten, reiflich nachdachte, und sich nicht dem ungezähmten Feuer der Imagination überließ. Wenigstens ist die erste Scene des Sturms ein Beweis, daß er durch sie einen Zweck beabsichtete, den er bey keinem seiner übrigen Stücke hatte: denn obgleich viele derselben, größere und fürchterlichere Begebenheiten darstellen, so fängt doch keines auf eine so große und fürchterliche Art an.


[3] Der Geist, der im 2ten Theile Heinrichs VI. erscheint, (siehe die 4te Scene des 1sten Akts,) ist auf keine Weise vorbereitet noch schrecklich, sondern völlig nichtssagend. So sehr ich überzeugt bin, daß der größte Theil dieses vorzüglichen Schauspiels von Shakspeare's Hand sey, so zweifle ich doch, ob man ihm mit Recht diese matte Scene zuschreiben könne. Höchst wahrscheinlich ist es, daß er bei diesem Schauspiele ein älteres Stück vor sich hatte, an welches er seine Einschaltungen und Verbesserungen reihte, und vieles daher von dem Grundtexte stehen ließ. Es war natürlich, daß er bei seiner Verbesserung mehr die pathetischen Scenen umschuf, als andre, die nur zur Einleitung oder Erklärung mancher Begebenheiten dienten.


[4] Warum der Geist hier erscheint, ist zwar nicht völlig deutlich, aber ich habe mir diesen Grund immer als den vorzüglichsten seines Auftretens gedacht. Hamlet hat den Polonius erstochen, er hält das Schwerdt noch in der Hand, oder heftet es in den Boden; nun tritt er vor die Gemählde seines Oheims und seines Vaters, die in der Schlafkammer seiner Mutter hängen: es ist eben so sonderbar, als unnatürlich, wenn der Schauspieler diese Gemählde en miniature selbst mit sich bringt, wie auf unsern Theatern geschieht:) — bey der Vergleichung der beyden Bildnisse geräth er in Enthusiasmus, und endlich in Wuth gegen seinen Oheim; A king of shreds and patches! schreyt er, reißt das Schwerdt aus dem Boden, und zersticht das Gemählde; er nähert sich der Mutter, und ist vielleicht im Begriff, auf diese seine Wuth von seinem Oheim überzutragen, — als plötzlich der Geist aus dem Theil der Wand tritt, an welchem das Gemählde hängt. — So habe ich mir diese Scene immer gedacht, die wenigstens, auf diese Art dargestellt, ein sehr schönes Theaterspiel geben kann; wiewohl ich ungewiß bin, ob ich die Meinung des Dichters ganz getroffen habe.



Anmerkungen des Bearbeiters:

Bestimmte veraltete Rechtschreibungen wurden beibehalten, um die historische Form zu erhalten.

Gesperrter Druck wurde als Fettdruck übernommen.

In Antiqua gesetzte Wörter (in der Regel Fremdwörter) wurde als Kursivschrift übertragen.

Durchgeführte Änderungen:

1. Seite 1--Vorrede-- ein Semikolon nach 'um den Effekt zu erhöhen'hinzugefügt.

2. Bei Jahresangaben wurde der Punkt hinter der Jahreszahl entfernt.

3. Seite 11-- Neuer Satzanfang nach 'sich dem Ideale nähert?' gebildet.

4. Seite 12-- Änderung von 'Geschopf' zu 'Geschöpf'.

5. Seite 13-- Änderung von 'Gegegenwart' zu 'Gegenwart'.

6. Seite 14-- Änderung von 'Plane' zu 'Pläne'.

7. Seite 24-- Falschen Apostroph vom Wort 'Miranda's' gestrichen.

8. Seite 25-- Änderung von 'inviduelle' zu 'individuelle'.

9. Seite 38-- Änderung von 'aufgefodert' zu 'aufgefordert'.

10. Seite 58-- Am Ende des Satzes '...Weib und Kinder' einen fehlenden Punkt ergänzt.

11. Seite 61-- Änderung von 'jezt' zu 'jetzt'.

12. Seite 67-- Änderung von 'fodern' zu 'fordern'.

13. Seite 68-- Änderung von 'seegeln' zu 'segeln'.

14. Seite 71-- Änderung von 'Syrocax' zu 'Sycorax'.

15. Seite 89-- Im Satz 'Es giebt Leute, die Neapel...' ein fehlendes Komma ergänzt.

16. Seite 93-- Am Ende des Satzes '...helfen, ich muß fluchen,' Komma durch Punkt ersetzt.

17. Seite 97-- Änderung von 'kien' zu 'kein'.

18. Seite 114-- Änderung von 'zehmal' zu 'zehnmal'.

19. Seite 118-- Änderung von 'hereingedracht' zu 'hereingebracht' und fehlendes ' ergänzt.







[End of Der Sturm [The Tempest] by William Shakespeare, translated by Ludwig Tieck]

[Fin de Der Sturm [The Tempest (La Tempête)] par William Shakespeare, traduit par Ludwig Tieck]